Rettung eines Mauerseglers (5)
Gastbeitrag von Christina Klink, Sommer 2004 (mit ergänzendem Bildmaterial weiterer Fotografen)
Da ich eine Leiterfunktion im Musikkorps Rendsburg ausübe, musste Apus apus während seines Aufenthaltes bei uns dreimal Blasmusik ertragen. Natürlich schützte ich ihn, soweit es ging, vor der Lautstärke und vor Zugriffen meiner jugendlichen Kameraden. Sie durften schauen und ihn zart am Kinn kraulen, das er ihnen auch wohlig entgegenstreckte, aber aus der Hand gab ich ihn nicht. Sie verstanden es zudem, als ich ihnen erklärte, dass ein Herumreichen die Federn beschädigen könnte. Die Kinder bauten auch so einen Bezug zu Apus auf: Sie nannten ihn „Hugo Bertha“, weil ich ihnen nicht sagen konnte, ob es ein Weibchen oder Männchen ist. Doch mehr als fünf Minuten ließ ich ihn jeweils nach dem Füttern nicht außerhalb seiner Kiste. Trotzdem haben meine Zöglinge im Verein bei diesen Anlässen einiges über den Mauersegler erfahren. Und einige von ihnen waren so interessiert, dass sie wie ich am Himmel Ausschau hielten und lernten die Mauersegler von anderen Vögeln zu unterscheiden.
Bei einer dieser Vereinszusammenkünfte saß ich in der Pause auf dem Schulhof, um Apus apus zu füttern. Da sah ich über der Altstadtschule nebenan in großer Höhe ein paar Segler kreisen. Scheinbar entdeckten sie den Kleinen, denn sie wurden mehr, kamen näher und tiefer und kreisten eine ganze zeitlang direkt über mir. Da ich den Fotoapparat nicht parat hatte, entschieden mein Mann und ich uns, nach den Proben zum Schlossplatz zu fahren, um das Verhalten der dortigen Seglerkolonie auszutesten.
Den Schlossplatz hatten wir nämlich vorläufig als besten Startort gewählt, weil dort nicht so viel Verkehr ist. Und tatsächlich: Hoch oben flog die Seglerkolonie, und kaum dass ich mit Apus apus aus dem Auto stieg, kamen die Vögel näher, kreisten über mir und das Kreischen der Mauersegler wurde recht laut. Apus apus gefiel das nicht, er krabbelte rückwärts, drückte sich fest in meine Hand und schloss seine Augen. Wir setzten ihn wieder in die Kiste zurück, aber wir konnten nun beruhigt und sicher sein, dass die Artgenossen Apus in ihre Obhut nehmen würden, wenn sein Tag gekommen sein würde.
Ab dem zehnten Tag zeigte Apus apus dann ein merkwürdiges Verhalten. Statt die Heimchen aus der Hand zu nehmen, versuchte er immer wieder meinen Finger zu fassen zu kriegen. Auch sein Piepsen, bei dem er immer in der Hand zitterte, wurde stärker. Es kam mir so vor, als ob er mir sagen wollte: „Ich fliege jetzt bald ins Weite und brauche noch ein bisschen Nestwärme und Mutterliebe.“ Zugleich war er aber auch verhältnismäßig unruhig und wollte schnell von der Hand herunter. Oft musste ich aufpassen, dass er mir nicht runterfällt oder in den Ärmel kriecht. Einmal kroch er hinein, und es war verdammt schwierig, ihn wieder rauszuholen, da er sich in der Bluse festgekrallt hatte. Ich hatte Angst um seine Federn, als ich ihn gegen den Strich herausziehen musste. Und so passte ich höllisch auf, dass er nicht noch einmal hinein krabbelte.
Zur gleichen Zeit klagte mein Mann über Kopfschmerzen, die ihn seit ein paar Tagen abends plagten. Da er zwischenzeitlich auch einen großen Bezug zu Apus aufgebaut hatte – deshalb sorgte er ja auch für Heimchennachschub – stierte er nämlich Tag und Nacht in den Himmel, um Mauersegler zu entdecken und deren Verhalten zu beobachten. Besonders hart war das am Abend, wenn fast genau um 21:10 Uhr etwa zwanzig bis dreißig Mauersegler aus verschiedenen Richtungen kamen und sich hoch oben am Himmel sammelten. Dort kreisten sie und trieben ihre Spielchen und verschwanden gegen 21:30 Uhr einfach aus unserem Sichtbereich im blauen Himmel. Um sie überhaupt beobachten zu können, mussten wir uns über das Balkongitter hängen und den Kopf ganz nach hinten drehen. Ein akrobatisches Unterfangen, dass ich nur dreimal mitmachte. Kein Wunder, dass mein Mann Kopfschmerzen bekam. Doch abgehalten hat ihn auch diese Erkenntnis nicht.
In den letzten beiden Tagen fiel mir auf, dass Apus apus‚ Füße immer gut zu sehen waren, dass er aber seine Krallen nicht mehr beim Sitzen in meiner Hand benutzte. Und je mehr ich die Füße beschaute, desto mehr wurde mir klar, dass er durch sie wirklich untauglich für ein Leben am Boden ist. Ich habe dazu ein paar Vergleiche gezogen: Wenn man sich vorstellt, dass die Beine eines Mauerseglers Arme sind, dann ähnelt sein Vorwärtskrabbeln dem Robben der Menschen auf den Ellenbogen. Der Bauch des Mauerseglers liegt dabei fast ganz auf dem Boden, weil der Vogel nicht richtig aufstehen kann. Aber nicht nur einem robbenden Menschen ähnelt der Mauersegler beim Krabbeln, sondern auch einem Kinderfahrrad, weil er bei jedem Schritt die Flügel benutzt um nicht umzukippen.
Das ist ja auch kein Wunder bei den krummen Zehen, die allesamt nach vorn gerichtet sind. Man stelle sich vor, man soll auf den Ellenbogen vorwärts kommen, aber die Handgelenke sind nach unten versteift. Auch in Bezug auf sein Aussehen habe ich lange überlegt, an wen mich das erinnert. Ich kam drauf: Sein Blick erinnerte mich an Micky Maus, wobei natürlich die Ohren fehlen, und von der Seite gesehen bei leicht geöffnetem Schnabel hatte er etwas Ähnlichkeit mit einem Delphin, weil die Mundwinkel bis unter die Augen gehen. Das liegt daran, dass die Mauersegler eine besonders breite Mundspalte haben.
Der zwölfte Tag war voller Erlebnisse. Erst wurde ich wieder mal ganz schön nervös: Ich entdeckte nämlich zersauste Flügelspitzen an Apus. „Oh, nein,“ dachte ich, „bloß keine kaputten Federn. Wie soll er denn damit 190.000 Kilometer pro Jahr hinter sich bringen beziehungsweise den Flug nach Südafrika und seine mindestens zweijähriges Junggesellenleben ohne Landung?“ Aber ich konnte mich schnell beruhigen, es hatte keine inneren Ursachen. Die Schwungfedern waren nur zu lang geworden für die Übungsrampe im Karton, sodass die Spitzen am Boden auflagen, wenn er sich aufrecht festklammerte – das zersaust natürlich.
Also baute ich seine Unterkunft schnell um, lieferte eine höhere Übungsrampe – und schon war die Aufregung vorbei. Die Federn strich ich vorsichtig glatt und so war alles in bester Ordnung. Alles in Allem sah das Gefieder von Apus einfach unglaublich toll aus. Es war glatt und funkelte in der Sonne, wenn sie ihn mal traf. Im zusammengefalteten Zustand sahen Apus‘ Schwungfedern wie scharfe Messer beziehungsweise Säbel aus. Und nicht die geringste Unebenheit zerstörte das Bild unseres schönen Mauerseglers.
Mittlerweile reduzierte sich aber das Gewicht. Apus wog nur noch 42 Gramm. Als ich ihn erneut auf das Maßband legte, war er vom Schnabel bis zum Schwanz 16 Zentimeter lang. Ich zählte noch die locker liegenden Flügel dazu. Damit brachte er es auf 18 bis 19 Zentimeter. Aber es waren immer noch Federhülsen vorhanden, und sein Appetit bereitete mir nun etwas Sorge: Ich wollte doch nicht, dass sein Gewicht sich auf unter 40 Gramm reduziert, bevor er fliegt. Aber Apus schnappte immer häufiger die Heimchen, um sie schnell beiseite zu werfen, statt sie zu fressen.
Weiter geht es mit dem sechsten Teil dieses Erfahrungsberichts.