Flugtraining für Rauchschwalben
Gastbeitrag von Martina Rajes, Sommer 2001 (mit ergänzendem Bildmaterial anderer Fotografen)
Ein Bastelzimmer meiner Mutter wurde komplett leergeräumt. Was unbedingt drin bleiben musste, wurde mit Gärtnervlies bedeckt. Alle potentiellen Gefahrenquellen sowie die Fenster und die Zwischendecke verhängten wir damit, da in unserem alten Stallgebäuden immer offene Zwischendecken gelassen wurden und die Kleinen dort schnell hätten verloren gehen können. Das Vlies hatte den Vorteil, dass es lichtdurchlässig war und dabei trotzdem sichtbar blieb.
Dann zogen die Kleinen in den Raum ein. Morgens wurde der Topf in den Raum gestellt, wir ließen das Licht an, und die Vögel wurden gefüttert. Alle zwei Stunden suchten wir sie auf, um sie zu füttern und nach dem Rechten zu sehen. Dabei war es so, dass die Quäker zu uns geflogen kamen. Wenn sie ihr Futter bekommen hatten, flogen sie wieder fort. Manchmal warteten sie aber auch auf den Strohhalm, den ich ihnen nach wie vor mit Wasser gefüllt anbot. Sie konnten genau unterscheiden, ob es Futter oder Wasser gab.
Zuerst dachte ich, das nun die Zeit vorbei sein würde, in der ich die Kleinen abends hereinholen musste, aber da irrte ich mich. Sie wollten nachts wieder in ihren Topf. Sie blieben gegen 22:00 Uhr, wenn ich sie zuletzt fütterte, einfach auf der Hand sitzen. Dann schmusten sie auch oder spielten mit glitzernden Dingen wie Ringe oder Ketten, die ich an mir trug. Sie ließen sich bereitwillig in den Topf setzen, das Tuch drüber legen und zurück auf die Heizung in der Küche tragen.
Diese Phase dauerte noch drei Tage. In dieser Zeit „fremdelten“ sie schon stark. Nun konnten nur noch meine Mutter und ich die Kleinen füttern. Alle männlichen Mitglieder der Familie wurden nicht mehr angeflogen. Außerdem war es mittlerweile leichter, das Futter direkt aus der Hand zu füttern. So mussten sie es sich selbst „nehmen“ – ein weiterer Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Uns brachte dies in erhebliche Zeitnot, denn irgendwann mussten wir schließlich mal arbeiten. Somit wurden die Zeitabstände zwischen den Fütterungen immer weiter vergrößert und alternatives Futter frei zugänglich gemacht.
Ich stellte an verschiedenen Stellen Futterschalen auf, in denen ich Trockeninsekten, aber auch aufgetaute Heimchen und tote Fliegen anbot. Solche Schalen müssen einen flachen Rand haben, da Schwalben nicht gern in ihrem Futter stehen. Nun fütterte ich außerdem verstärkt lebende Fliegen und ließ einige Tüten voll von den Insekten in den Raum frei. Damit wollte ich den Jagdinstinkt wecken, was mir, denke ich, auch gelang. Aus dem Raum entweichen konnten die Fliegen nicht, und es wurden trotzdem immer weniger.
Da Heimchen schnell verderben, kontrollierte ich anfangs noch alle drei Stunden das Zimmer. Die Quäker hatten bald heraus, dass sie sich selbst bedienen konnten. Sie hatten eine Lieblingsstelle zum Fressen auf einem Tisch gefunden. Dort legte ich fortan das Futter aus, ebenso stellte ich eine Schale mit Wasser bereit. Da erlebte ich dann auch eine Überraschung: Meine Schwalben badeten mit Leidenschaft. Ich wusste vorher nicht, dass sie das tun würden. Je größer die Zeitabstände der Kontrolle wurden, desto mehr fremdelten sie. Bald konnte nicht einmal mehr meine Mutter die Kleinen füttern. Sie kamen nur noch zu mir. Und sie wollten eines Abends nicht mehr in den Topf. Sie hatten sich eine andere Schlafstelle gesucht, die sie fortan aufsuchten.
Sie wogen nun schon 22 und 21 Gramm, in etwa das Gewicht eines Altvogels. Eigentlich waren dies ein beziehungsweise zwei Gramm zu viel, aber ein Polster für die Freiheit erschien mir sehr gut, denn sie hatten ja keine Eltern, die ihnen das Jagen beibringen würden.
Ab diesem Tag warteten wir nur noch auf schönes Wetter. Meine Schwalben kamen in der Zwischenzeit auch nicht mehr zu mir. Sie flüchteten sogar auf eine erhöhte Stelle, sobald ich den Raum betrat. Dieses Verhalten ist sehr nützlich, da die Vögel in der Natur den Menschen fliehen sollten. Ich kam nur noch drei Mal am Tag, um das Futter und Wasser zu kontrollieren und um sie einen Moment zu beobachten. Es mussten zufällig Männchen und Weibchen sein, denn die Maske des Männchens war wesentlich größer. Auch bettelte der Hahn seine Schwester immer wieder um Futter an, was diese mit Gezeter kommentierte.
Nach zwei weiteren Tagen meldete der Wetterbericht für die kommenden Tage ein Hoch an, sodass wir beschlossen, die Kleinen freizulassen.
Weiter geht es mit Teil 6 dieses Erfahrungsberichts: Abschied von den Rauchschwalben.