Rettung eines Mauerseglers (3)
Gastbeitrag von Christina Klink, Sommer 2004 (mit ergänzendem Bildmaterial weiterer Fotografen)
Aus unserer anfänglichen Scheu und Angst wurde eine Aufgabe, die Freude bereitete. Ich fing an, mich an den Mauersegler im Haus zu gewöhnen und mit ihm zu sprechen, während ich ihn fütterte. Saskia und Jasmin kümmerten sich in Abständen zwar auch mal um die Fütterung, aber die Jugend will in den Ferien raus und so war ich ziemlich auf mich selbst gestellt. Einen Namen wollte ich unserem Gast nicht geben, weil ein endgültiger Abschied unmittelbar bevorstand und ich befürchtete, mich zu stark an ihn zu binden. Doch ganz ohne ging es nicht und so nannte ich ihn bei seinem lateinischen Namen, Apus apus (der Fußlose). Das klang nicht nur putzig sondern ist auch noch äußerst treffend, weil der Mauersegler naturgemäß weder Füße noch Beine am Boden gebrauchen kann.
Der dritte Tag begann mit großer Freude: Apus apus nahm das Futter selbst aus der Hand, ich brauchte ihn nicht mehr zwangsweise zu füttern. Es schmeckte ihm ganz offensichtlich. Nach jeder stündlichen Mahlzeit wog er zwei Gramm mehr. Und insgesamt nahm er an diesem Tag zwei Gramm zu. Das blieb auch die nächsten Tage so. Auch schloss er nicht mehr so oft seine Knopfaugen, sondern schaute uns zutraulich und neugierig an, wenn wir am Karton vorbeikamen.
Er trainierte und putzte sich mit Vorliebe auf der schrägen Rampe und zwischendurch schlief er in der mit einem Handtuch abgedeckten und somit abgedunkelten Hälfte des Kartons. Auch in diesem Zusammenhang war mir zunächst ein Pflegefehler unterlaufen. Da ich weiß, dass Wellensittiche gern hell stehen, ließ ich den Karton ganz offen, bis ich merkte, dass der Kleine fast vergeblich versuchte, seinen Kopf unter dem Küchenpapier oder im Heu zu verstecken (von wegen ins Heu kuscheln). Also bedeckte ich eine Hälfte des Kartons mit einem dunklen Handtuch, das von Wäscheklammern gehalten wurde. Außerdem stellte ich den Karton auf den Tisch auf unserem Balkon (wir wohnen unten und müssen mit Katzen rechnen) und hängte davor ein großes Laken an die Wäscheleine. Wenn die Sonne schien, bedeckte ich auch die helle Hälfte seiner Unterbringung mit einem Handtuch und ließ nur durch die Mitte Tageslicht in den Karton fallen.
Apus fühlte sich sichtlich wohl. Er schnappte gierig nach meinen Fingern, wenn ich ihn aufnahm. Er fraß gut und nahm bis zum fünften Tag seines Aufenthaltes ganze zehn Gramm zu, sodass er es auf ordentliche 48 Gramm brachte. Zum Schlafen lag er gern auf einem schmalen Ring aus Heu. Ich hatte ja mit Hilfe der Webcam von Rüdiger Becker gesehen, dass die Mauersegler einen solchen bauen. Aber leider fiel mir nicht ein, wie ich ihn verkleben konnte und ich ließ ihn weg, als zum ersten Mal ein Kot darin war.
Ab dem sechsten Tag fing er an, sich vermehrt in der hellen Hälfte des Kartons aufzuhalten und in der Gegend umzusehen. Besonders interessierten ihn herumfliegende Insekten und die Vögel am Himmel. Im gleichen Atemzug fing er an, weniger zu fressen. Ich war etwas verunsichert über dieses erste Anzeichen des bevorstehenden Abfluges, denn der Tag konnte noch nicht gekommen sein, weil die Federhülsen ihn noch zur Flugunfähigkeit verdammten. War er etwa krank?
Ich rief Frau Dr. Haupt an, die Tierärztin bei der Mauergesellschaft. Sie meinte aber, dass ich abwarten solle. In keinem Fall könnte der Kleine fliegen, bevor die Hülsen nicht verschwunden seien und ich solle vor dem ersten Startversuch die kleineren Federn unter dem Flügel hoch pusten, um zu sehen, ob die Hülsen verschwunden sind. Mit 48 Gramm sei er außerdem noch zu schwer für seinen Flug. Frau Haupt wies mich zudem auf die neuesten Erkenntnisse über den Start hin. Ein sonniger Nachmittag und der Start von einer Wiese sei nicht unbedingt von Vorteil, sagte sie. Trockenes Wetter mit Wolken und einer sanfte Brise wären gut. Ansonsten solle man darauf achten, dass möglichst andere Mauersegler am Himmel sind, da der Jungvogel durch sie animiert wird. In Frankfurt würde man die Starts in Straßen durchführen, erklärte sie weiter, da Falken eine zunehmende Gefahr für die aufsteigenden Mauersegler sind und dass viele der jungen Vögel beim ersten Aufstieg geschnappt werden. Es wäre sicherer, den Kleinen im Schutz der Häuser aufsteigen zu lassen. Und wenn andere Mauersegler ihn aufsteigen sehen, kommen sie herunter und nehmen den Jungvogel in ihre Obhut.
Apus fraß in den nächsten Tagen gerade mal so viel, dass er ein Gewicht zwischen 44 und 46 Gramm hielt. Ansonsten stellten wir keine Veränderungen fest. Mein Mann, Hans-Jürgen, war ganz froh über die kleinen Mahlzeiten, denn er war es, der die Heimchen einkaufte und einfror, um ihnen dann die Beine zu entfernen, damit ich sie verfüttern konnte. Drei- bis viermal pro Tag ging er vor und nach der Arbeit in den Keller. Morgens um 6:00 Uhr das erste Mal, abends um 20:30 Uhr das letzte Mal. Ich fand diese Viecher schon mehr als ekelhaft, aber da meinem Mann das Zartgefühl für ein Halten des Vogels fehlte, bestand ich darauf, den Mauersegler selbst zu füttern. Am Anfang hatte ich einen ganz schönen Würgereiz (die Körper der Heimchen waren „matschig“ weich – die Köpfe hart), aber am Ende machte es mir nichts aus, mehrfach täglich zehn bis 15 Stück zu verfüttern. Apus sollte bekommen, was er braucht – das hatten wir nun mal so entschieden.
Weiter geht es mit dem vierten Teil dieses Erfahrungsberichts.