Wildvögel haben es schwer
Jedes Jahr stellt der Winter die heimische Natur auf eine harte Probe: Nur wer fit ist, überlebt die kalte Jahreszeit sowie die mit ihr verbundenen Nahrungsknappheit. Diese Engpässe in Bezug auf die Nahrung haben in den vergangenen Jahren in etlichen Regionen Deutschlands drastisch zugenommen, weil wir Menschen immer mehr Flächen versiegeln, Gebüsche roden und „aufgeräumte“ Gärten anlegen, in denen bloß keine Wildkräuter und -pflanzen zwischen den Zierblumen und im manikürten Rasen wuchern dürfen. Auch die intensiv betriebene Landwirtschaft, die für Wildkräuter zwischen den kultivierten Pflanzen kaum Platz mehr lässt, trägt ihren Teil zum Schwund der natürlichen Nahrungsquellen der Wildvögel bei.
Für eine ganze Reihe von Vogelarten bedeutete das Verschwinden ihrer Futterpflanzen eine Bedrohung ihrer Bestände. Ihre Anzahl schrumpft seit Jahren, denn neben der Nahrungsknappheit kommt häufig noch ein Mangel an Nistgelegenheiten zum Tragen. Spezies wie der Feldsperling, aber auch der Haussperling, der Star, der Stieglitz sowie einige andere Vögel finden in unserer auf- und ausgeräumten Natur kaum noch ein Auskommen. Zwar finden sich an einigen Stellen nach wie vor zahlreiche Individuen dieser Arten, aber dies sollte kein Hinderungsgrund sein, ihnen dennoch im Winter Futter anzubieten, damit sie nicht auch irgendwann in Bedrängnis geraten.
Weshalb ist gerade der Winter eine problematische Zeit für die Wildvögel? Naturgemäß verringert sich die Nahrungsfülle in der kalten Jahreszeit auf ein Minimum. Hinzu kommt die Kälte, die den Vögeln enorm viel abverlangt. Hierbei gilt: Je kleiner der Körper eines Vogels ist, desto mehr Energie benötigt das Tier, um nicht zu erfrieren. Das heißt, dass die Vögel insbesondere in den teils sehr kalten Nächten große Energiemengen aufwenden müssen, um die Kerntemperatur des Körpers konstant zu halten. Eine Blaumeise beispielsweise verbraucht bei einer Umgebungstemperatur von -10° C in nur einer Nacht eine Energiemenge, die zehn bis 15 % ihres eigenen Körpergewichtes aufzehrt. Das entspricht einem nächtlichen Gewichtsverlust von etwa 2 g. Diese Energie verwendet der Organismus der Blaumeise fast gänzlich dafür, die Körpertemperatur auf dem Normalwert von etwa 40° C zu halten.
Verfügt ein Vogel wegen der nur spärlich verfügbaren Nahrung über eine zu geringe Körpermasse, hat er also keine Fettreserven, erlebt er nach einer kalten Nacht keinen weiteren Morgen. Er stirbt im Schlaf und fällt tot vom Ast. Den Tieren ist die Gefahr des nächtlichen Erfrierens instinktiv bewusst. Aus diesem Grunde sind Kleinvögel wie die Blaumeisen im Winter bis zu 85 Prozent des Tages damit beschäftigt, nach Nahrung zu suchen und ihre Fettreserven täglich neu aufzufüllen. Müssen die Vögel in Zeiten des Mangels weite Strecken auf ihrer Suche nach Futter zurücklegen, kostet dies viel Energie, die in kalten Nächten fehlt – ein Teufelskreis, den die Tiere den vom Menschen besonders stark veränderten Gebieten mit nur wenigen natürlichen Nahrungsquellen kaum allein durchbrechen können.
Nur diejenigen Vögel, denen es permanent gelingt, am Tage ausreichende Nahrungsmengen zu sich zu nehmen, überstehen die kalte Jahreszeit unbeschadet. Im Winter sind die Tage aber naturgemäß recht kurz, sodass den Vögeln vergleichsweise wenig Zeit bleibt, ergiebige Futterquellen zu finden. Oft spielt das Wetter zudem nicht mit. Eine geschlossene Schneedecke oder starkes Schneetreiben können für viele Individuen unserer heimischen Wildvogelarten leicht das Aus bedeuten. So berichten Prof. Peter Berthold und seine Frau Gabriele Mohr in ihrem Buch „Vögel füttern – aber richtig“ (siehe Literaturtipps) davon, dass in manchen Wintern ganze örtliche Populationen kleiner Vögel wie Zaunkönige wegsterben. für die Tiere wird deshalb jedes Häppchen Futter überlebenswichtig. Vom Menschen eingerichtete Futterplätze werden für gewöhnlich gern besucht, sofern die Vögel die Standorte dieser Futteroasen kennen. Aus diesem Grunde ist es umso wichtiger, rechtzeitig mit der Fütterung zu beginnen, siehe Kapitel Wann sollte die Fütterung beginnen?.