Rettung eines Mauerseglers (4)
Gastbeitrag von Christina Klink, Sommer 2004 (mit ergänzendem Bildmaterial weiterer Fotografen)
Obwohl Apus mit 44 Gramm noch eine gute Reserve hatte, wurde ich nervös, weil sein Gewicht stagnierte. War er vielleicht doch schon fertig? Die grauweißen Federhülsen waren weg, aber unter den kleineren Federn sah ich noch einen ein bis zwei Zentimeter langen grauen Rest. War das ein Flügelteil oder eine Federhülse? Ich wusste es einfach nicht und wollte auch nicht zu viel an den Flügeln herum wuschteln, um alles hundertprozentig sehen zu können. Also wandte ich mich noch einmal an Herrn Becker in Berlin, dem ich auch ein paar aktuelle Bilder mitsandte, um eine neue Altersschätzung zu bekommen. Er antwortete prompt und teilte mit, dass das Graue verschwinden muss. Er schätzte das Alter des Mauerseglers auf etwa 37 bis 38 Tage und meinte, wir sollten am Wochenende, also ca. fünf Tage später mit dem Start rechnen.
Na, das waren ja heitere Aussichten: Je länger ich Apus apus hatte, desto mehr wuchs er mir ja ans Herz und desto schwerer würde es mir fallen, ihn in die Natur zurückzugeben. Zwischenzeitlich hatte ich auch noch erfahren, dass ein Mauersegler im Einzelfall sogar bis zu 56 Tage brauchen kann, um flügge zu werden. Auch könne man Pech haben, dass der Vogel erst beim zehnten Versuch startet. Theoretisch könnte er dann ja noch über einen Monat auf meine Pflege angewiesen sein. Diese Gedanken rasten mir durch den Kopf und es taten sich neue Fragen auf: „Frisst er dann wieder? – Oder verringert sich sein Gewicht lebensbedrohlich, weil er weiterhungert?“ Na ja, man musste nicht unnötig die Leute behelligen und so tat ich nichts und wartete ab, was passieren würde.
Mittlerweile hatte ich festgestellt, dass Mauersegler sehr reinliche Vögel sind. Apus ging vor dem Koten immer rückwärts und hob – wie ein Storch – sein Hinterteil aus dem Nest oder über die Kante der Übungsrampe hinaus, um den Kot weit über den Rand immer in möglichst dieselbe Richtung zu „schießen“. Auch wenn er an meiner Bluse hing, merke ich sofort, wann es losging. Ich griff ihn dann schnell und hielt ihn über eine parat gelegte Zeitung oder über Küchenpapier. Nur im Einzelfall ging mal etwas daneben. Bei meinem Wellensittich klappt das leider nicht. :-D. Entsprechend praktisch war dann auch der Tipp von Rüdiger Becker, das Küchenpapier in Schnipsel zu reißen. So konnte ich auch über Tag im Vorbeigehen ein paar eingekotete Schnipsel aus dem Karton sammeln und die Hütte blieb sauber.
Eine besondere Erkenntnis kam mir, als ich Apus apus einmal beim Füttern neben mir auf ein Handtuch setzte. Ich legte immer eines hin und spannte es über die Rückenlehne, damit wir Apus auch mal außerhalb des Kartons ein paar Minuten betrachten konnten. An diesem Tag krabbelte Apus wie üblich die Rückenlehne empor. Oben entdeckte er dann ein braunes Plüschtier aus Frottee. Er watschelte zielstrebig hin, um es mit langanhaltendem Piepsen wie irre anzubetteln, obgleich er eigentlich schon satt war. Als ich ihm daraufhin Nachschub reichte, schnappte er den ganzen Finger wie am Anfang. Daraufhin schaute ich immer durch den Spalt, wenn er im Karton auf ähnlich Weise piepste. Ich stellte fest, dass er immer piepste, wenn er sich in die Küchenrollenschnipsel wühlte oder aber ganz dicht am Frotteehandtuch der Rampe hockte.
Die Episode mit dem Plüschtier wiederholte sich auch später noch einmal. Kurios ist, dass er sich eindeutig für den braunen Hasen entschieden hat. Als ich nämlich ein schwarzes Lamm in seine Nähe brachte, interessierte er sich nicht dafür, sondern watschelte zum Hasen. Ich gehe jetzt davon aus, dass Frottee für den Mauersegler ein guter Ersatz für kuschelige Federn von fehlenden Eltern und Geschwistern ist. Und dass er den Hasen als Ersatzmutti wählte, lag vielleicht an den langen Ohren, die ihn eventuell an Flügel erinnerten. Das meinte jedenfalls Hans-Jürgen dazu.
Am neunten Tag seines Aufenthaltes maß ich Apus apus zum ersten Mal, nachdem ich irgendwo gelesen hatte, dass er flugreif ist, wenn er von Schnabel bis Schwanzspitze 16 Zentimeter lang ist. Es kamen gut 15 Zentimeter dabei heraus. Das Gewicht belief sich auf 44 Gramm. Das Flugtraining, das mich am Anfang noch erschreckt hatte (mit Ausnahme des Flatterns sah es nach Krampfanfällen aus), fand ich mittlerweile bezaubernd. Immer dann, wenn ich ihn flattern hörte, schaute ich fasziniert zu. Es war stets ein tolles Erlebnis, wenn er sich mit ausgebreiteten Flügeln liegend in voller Pracht und voller Glanz zeigte. Der ganze Körper vibrierte zum Teil, er flatterte genauso unverhofft, wie er plötzlich still lag, um in voller Muskelanspannung seinen Körper zu verbiegen und den Schwanz im Liegen nach oben zu heben.
Manchmal stemmte er seinen ganzen Körper mit den ausgebreiteten Flügeln hoch, als ob er Liegestütze machte. Auch streckte er häufig nur einen Flügel aus. Und nach jedem Training folgte ein intensives Putzen des Gefieders. Es war schon erstaunlich, welches Muskelspiel der sonst so hilflos daliegende Mauersegler anwenden konnte.
Weiter geht es mit dem fünften Teil dieses Erfahrungsberichts.