Eisvogelhafter Sommer
Autorin des Sonderbeitrags: Lenka Stepanek, 11 Jahre, Sommer 2007
Mitte Juni hatte eine ältere Frau aus dem Altenheim in Scheinfeld einen Vogel auf ihrem Balkon gefunden, der wohl gegen die Fensterscheibe geflogen war. Sie behauptete am Telefon, es sei ein Eisvogel. So holten wir ihn ab und ich stellte verblüfft fest, dass es wirklich ein Eisvogel war. Noch nie habe ich in freier Wildbahn so einen prächtig leuchtenden Vogel bei uns gesehen! Der Eisvogel heißt mit wissenschaftlichem Namen Alcedo atthis und ist bei uns in Mitteleuropa der einzige Vertreter aus der Familie der Eisvögel. Sein Verbreitungsgebiet ist riesig und erstreckt sich über Europa, Asien und Nordafrika. Eisvögel sind sehr scheue Tiere und bei uns recht selten.
Es war noch ein Jungvogel. Das erkannte man daran, dass er noch eine weiße Schnabelspitze und dunkle Füße hatte. Auffällig waren sein orangefarbener Bauch, die weiße Kehle sowie türkisblauer Kopf, Flügel und Schwanzfedern. Ich nannte den schönen Vogel „Prinz Stummelrose von Smaragdfels“. Prinz, weil er so elegant aussah. Stummel, weil er kurze Schwanzfedern hatte. Rose, weil ihn Frau Roseno gefunden hatte. Von, weil er vornehm war. Smaragd, weil er smaragdfarben leuchtete und Fels für einen Grafen (die haben normalerweise ihre Schlösser auf einem Felsen). Er war ganz „zahm“, weil er sicherlich eine Gehirnerschütterung hatte. Wenn man einen Finger ganz leicht auf den Bauch presste, hüpfte er auf ihn. „Stummel“ schlief fast die ganze Zeit. Dazu drehte er den Kopf um 180° nach hinten und steckte den langen Schnabel ins Gefieder.
Da sich Eisvögel von Fischen ernähren, fischte uns Herr Ipfling von der Stadtverwaltung netterweise aus seinem Gartenteich etliche Moderlieschen heraus und auch die Eltern meiner Freundinnen Barbara und Margarete Holzapfel opferten einige ihrer Zierfische.
Leider wollte Stummel nicht selbst fressen, so mussten wir ihn stopfen. Insgesamt hatte er schließlich am ersten Tag zehn Moderlieschen und zehn Guppies verspeist.
Am nächsten Tag hat es tierisch geregnet und uns sind die Moderlieschen ausgegangen. Herr Dr. Proske aus Rohensaas hat uns aber freundlicherweise mit Karpfenbrut ausgeholfen.
Zu Hause hatten wir die Minikarpfen erst einmal in mein Aquarium umgetopft. Meine anderen Fische hat das nicht gestört. Stummel verdrückte zehn von diesen Minikarpfen und das Schöne daran war, dass ich ihn nicht mehr stopfen musste.
Ich hielt ihm die lebendigen Fischchen vor den Schnabel und er schnappte blitzschnell zu. Dann hat er jedes Mal das Fischchen gegen meinen Finger geschlagen und es mit dem Kopf nach vorne runtergeschluckt. 25 Kärpfchen hat Stummel an diesem Tag gefressen wie auch einen großen Augenfleckprachtbarsch von meinem Aquarium, den ich ihm aus Versehen angeboten hatte. Am nächsten Tag hatten wir toller Weise auch noch von Herrn Dresel vom Fischereiverein einen ganzen Eimer mit Fischen bekommen.
Eine gute Woche später habe ich Stummel in der Nähe seiner Fundstelle an einem kleinen Teich wieder freigelassen. Ich glaube, er war wieder vollkommen fit. Die letzten Tage vor seiner Freilassung durfte er tagsüber frei im Wohnzimmer herumfliegen und war plötzlich nicht mehr so zahm wie am Anfang. Im Wohnzimmer hatte er drei Lieblingsplätzchen: das Kabel von der Deckenlampe, das Klavier und den Rand vom Aquarium (dort hat er „Fischlifernsehen“ geguckt). Dreimal ist er sogar im Aquarium rumgetaucht, hat aber leider keinen Fisch erwischt. Ein wenig Leid tat es mir ja schon, mich von Stummel zu verabschieden, aber das sollte nicht mein einziger Eisvogelpflegling in diesem Sommer bleiben.
Am 24. Juli holte Mama einen weiteren, jungen Eisvogel aus Burgwindheim ab. Da dieser Vogel ebenso ein Fensteropfer war, nannte ich ihn „Ritter Rost von Donnerscheibe“ oder einfach „Rosti“.
Zwölf Tage war Rosti bei uns in Pflege, bis er sich von seinem Unfall erholt hat. Einmal verfütterte ich ihm sogar einen 8,5 Zentimeter langen und 6 Gramm schweren Weißfisch und war selbst überrascht, wie schnell und gewandt der Vogel diesen Brocken verspeiste! Einmal gingen mir die Fische aus und so bot ich ihm Fischfilet an. Auch das hat ihm scheinbar geschmeckt.
Eisvögel sind absolute Nahrungsspezialisten. Außer Fischen, die sie von einer Ansitzwarte aus mit einem Sturzflug ins Wasser erbeuten, fressen sie manchmal aber auch Libellen.
Übrigens habe ich gemerkt, dass Stummel und Rosti Gewölle aus Fischgräten und -schuppen spuckten. Jeden Tag lagen zwei bis drei davon im Käfig. Sie waren weiß und sehr zerbrechlich und ich habe sie mit Lack gehärtet. So habe ich neben vielen Fotos auch noch eine greifbare Erinnerung an meine beiden Eisvögel.
Papa hat mittlerweile die bekackte Wand neu getüncht, sodass es in unserem Wohnzimmer wieder normal ausschaut. Auch der Fischgestank ist abgezogen. Ein wenig vermisse ich Stummel und Rosti ja doch. Ich hoffe sehr, dass die beiden in der Natur wieder zurechtkommen!