Rettung eines Mauerseglers (2)

Gastbeitrag von Christina Klink, Sommer 2004 (mit ergänzendem Bildmaterial weiterer Fotografen)

Bitte beachten Sie: Dieser Gastbeitrag ist keine Anleitung zur Aufzucht, Ernährung und Unterbringung von Wildvögeln. Lesen Sie zu diesen Themen bitte unsere entsprechenden Kapitel unseres Internetprojekts, siehe Navigationsleiste oben auf der Seite.
Unser gefiederter Pflegling, der junge Mauersegler, © Christina Klink
Unser gefiederter Pflegling, der junge Mauersegler, © Christina Klink

Der Mauersegler machte einen quietschfidelen Eindruck. Zwar konnte man sehen, dass er unter Stress stand, weil er das Gefieder etwas sträubte und die Augen schloss, aber er kuschelte sich in die Hand. Über Nacht verhielt er sich ruhig; aber in der Morgendämmerung piepste er los. Als ich nach ihm schaute, saß er aufrecht an den Gitterstreben des Käfigs. Da ich die Internetseiten über Mauersegler am Abend nur in Sachen Futter auf die Schnelle überflogen und dabei kurz registriert hatte, dass der Mauersegler in vielen Bereichen eine Ausnahme ist, setzte ich mich frühmorgens noch einmal an den PC und las mir etwas intensiver die Texte auf allen Internetseiten durch, die ich über Mauersegler fand.

Ich bekam einen gehörigen Schrecken, denn nun las ich erst, dass der Vogelkäfig für einen Mauersegler völlig ungeeignet ist. Das Jungtier absolviert ein intensives Flugtraining im Nest. Die ersten zwei Jahre lebt der Mauersegler ausschließlich in der Luft und auch danach landet er nur zum Aufsuchen des Nistplatzes und zur Aufzucht seiner Jungen. Die Natur hat ihm einen sehr kurzen Arm aber umso längere Schwungfedern gegeben und diese können beim Flattern im Käfig an den Käfigstreben brechen, was einem Todesurteil gleichkommen würde.

Wir folgten schnellstens den Beschreibungen, suchten einen Karton, legten ihn mit Küchenpapier aus, bauten eine Kletterrampe, die aus einem kleineren Karton mit Deckel bestand und bespannten sie mit einem Handtuch. Und da sich der Mauersegler nun tief ins Heu gekuschelt hatte, gaben wir auch sein Nest mit hinein. Das war allerdings überflüssig und erschwerte nur die Sauberhaltung. Später ließen wir es weg, der Kleine kuschelte sich auch unter das Küchenpapier oder an das Frotteehandtuch.

Unser Findling nutzte sein neues Quartier ausgiebig: Er kletterte und setzte sich aufrecht an die Rampe, um sein Flugtraining zu absolvieren. Er wirkte bis zum nächsten Tag so munter, dass wir dachten, ihn schon fliegen lassen zu können. Wir vertrauten diesbezüglich dem Tierarzt, der von etwas zwei Tagen Pflege gesprochen hatte. Glücklicherweise hatte ich aber zwischenzeitlich in Erfahrung gebracht, dass man den Mauersegler in keinem Fall in die Luft werfen darf, weil er selbständig losfliegt, wenn er fliegen kann. Wirft man ihn einfach hoch, fällt er mit Sicherheit runter auf den Boden.

Vor ihrer Freilassung schauen sich Mauersegler meist erst einmal neugierig um, © Hagen Görlich / Pixelio.de
Vor ihrer Freilassung schauen sich Mauersegler meist erst einmal neugierig um, © Hagen Görlich / Pixelio.de

Saskia und Jasmin nahmen also den Mauersegler und gingen mit ihm hinaus. Sie stellten sich auf den Rasen vor unserem Haus. Über eine Viertelstunde hielten Saskia und anschließend ich den Vogel auf der ausgestreckten Hand in die Luft. Dem Vogel schien es nicht zu behagen, unser Mauersegler wollte partout nicht losfliegen. Stattdessen klammerte er sich an der Hand fest, legte sich ganz flach nieder und schloss seine Augen. Also setzten wir ihn wieder in seinen Karton, um es am nächsten Tag erneut zu versuchen, ihm einen Start ins Leben in Freiheit zu ermöglichen.

Obwohl der Mauersegler wenigstens beim Piepsen, Flattern und Fressen fidel war, gefiel mir seine Körperhaltung insgesamt nicht. Ich hatte Bedenken, dass wir irgendetwas falsch machen würden. Der Tierarzt hatte ja gesagt, dass der Kleine auch sterben könne. Ich hatte keinerlei Erfahrungen und wollte den Mauersegler schnellstmöglich erfahrenem Fachpersonal in die Hände geben, also telefonierte ich herum und suchte nach einer Auffangstation oder Ähnliches. Der Tierschutzverein und das Tierheim in Rendsburg verwiesen auf den Tierarzt. Da wollten wir den Kleinen aber bestimmt nicht abgeben, es war ja deutlich, dass er sich mit Mauerseglern nicht auskannte.

Dann gerieten wir über das Internet an den Tierpark Eekholt, wo man uns zunächst auch eine Übernahme zusagte. Allerdings hatte der Pfleger schon Dienstschluss und so mussten wir am nächsten Tag noch einmal anrufen. Als wir den zuständigen Pfleger endlich ans Telefon bekamen, lehnte er die Übernahme des Pfleglings vehement ab. Er hätte nur mit größeren Wildvögeln zu tun und den anderen Tieren im Tierpark, erklärte er mir. Erfahrungsgemäß würden Kleinvögel ihm wegsterben, weil er die dauernde Fütterung nicht ableisten könne. Aus diesem Grund würde man im Tierpark Eekholt nur größere Vögel aufnehmen, zum Beispiel Eulen. Wir sollten doch versuchen, einen Rentner zu finden, der sich um den Kleinen kümmern würde. Frustriert und verzweifelt suchte ich weiter nach einer Lösung, wollte den Kleinen unbedingt in erfahrene Hände geben, aber daraus wurde nichts.

Also organisierte ich zunächst Fliegen. Man sollte es nicht glauben, ich bezahlte in der Tierhandlung glatte 1,40 Euro für ein Paket lebender Fliegen, weil ich im Haus keine einzige fand, wo sie uns doch sonst immer nerven! Durch eine E-Mail der Wildvogelhilfe geriet ich an die Deutsche Gesellschaft für Mauersegler in Frankfurt, die über eine Auffangstation verfügt und auch Pflegepersonal und dazugehörige Kurierfahrten vermittelt. Das war nun wirklich etwas zu weit entfernt, aber wir telefonierten miteinander.

In Schleswig-Holstein steht es allerdings schlecht um Pflegepersonal für Mauersegler, die einer besonderen Pflege bedürfen. Lediglich einen Ansprechpartner vom BUND in Dahme an der Ostsee – 115 Kilometer entfernt – konnte man mir nennen. Als weitere Lösung bot man mir an, ich könne den Kleinen mit der Bahn in einem Schuhkarton mit Luftlöchern nach Frankfurt senden. Ich wollte den Ansprechpartner in Dahme kontaktieren, aber ich konnte ihn telefonisch nicht erreichen. Ich verzweifelte fast, aber es lag mir fern, ein Lebewesen im dunklen Karton auf eine so weite Reise zu schicken. Was hatte der Kleine denn ohnehin bereits mitgemacht?

Junger Mauersegler, der fast flügge ist, © Sindy Nero via Flickr
Junger Mauersegler, der fast flügge ist, © Sindy Nero via Flickr

Ich suchte weiter im Internet und fand ein Forschungsprojekt vom Naturkundemuseum in Berlin, das den Mauersegler, den Vogel des Jahres 2003, seit dem letzten Jahr und bis zum Jahr 2008 erforscht. Dort konnte ich über eine Livecam in einen Nistkasten schauen und das Verhalten eines von Eltern versorgten Mauerseglers mit dem Verhalten unseres Zöglings vergleichen. Das beruhigte mich ungemein. Mir kam dann die Idee, dem Projektleiter, Rüdiger Becker, eine E-Mail zu schreiben, um in Erfahrung zu bringen, wie oft und wie viel so ein Tier frisst und wie lange wir mit unserem Gast noch rechnen müssen. Er musste ja einiges über Mauersegler wissen. Und er meldete sich prompt telefonisch bei mir.

Das Telefonat gab mir den Mut, den Mauersegler zu behalten und weiter aufzupäppeln. Rüdiger Becker hatte selbst schon einige Segler per Hand aufgezogen und gab mir Tipps zu Nahrung und Verhalten. Er erzählte mir von den Federhülsen unter den Flügeln, machte mich auf Verhaltensmerkmale aufmerksam, die der Flugfähigkeit vorausgehen und schätzte das Alter des Vogels anhand von Bildern, die ich ihm schickte. Auch gab er mir den Rat, das Küchenpapier in Schnipsel zu reißen. Nun hatte ich endlich ganz konkrete Anhaltspunkte, um den kleinen hilflosen Gast mit einem sicheren und guten Gefühl zu versorgen. Und für eine eventuelle weitere Unterstützung erhielt ich die Telefonnummer von Herrn Becker. Das gab mir Sicherheit.

Weiter geht es mit dem dritten Teil dieses Erfahrungsberichts.