Rauchschwalben-Aufzucht (2)

Gastbeitrag von Kerstin Zoller, Herbst 2011

Wichtige Vorbemerkung des Wildvogelhilfe-Teams

Bei einigen Vogelarten ist es sinnvoll, nach dem Finden eines Jungvogels nach einem geeigneten Ammennest zu suchen und den jungen Vogel dort hineinzusetzen. Je jünger das Vogeljunge ist, umso größer ist dabei die Aussicht auf Erfolg. Mit ein wenig Glück akzeptieren ihn die Ammeneltern und ziehen ihn mit auf. Insbesondere bei Schwalben ist dies die beste Vorgehensweise und sie ist der Handaufzucht durch den Menschen vorzuziehen.

Aber Achtung: Dies funktioniert nur in einigen Ausnahmefällen und nur bei wenigen Vogelarten und darf nur unter genauer Beobachtung geschehen.

Wichtig ist, ein geeignetes Nest ausfindig zu machen, in dem sich Jungtiere derselben Vogelart befinden, die noch dazu etwa im selben Alter sind. Das Hineinsetzen des Jungvogels muss schnell und möglichst ohne große Unruhestiftung vonstatten gehen. Anschließend muss für mehrere Stunden beobachtet werden, wie die Eltern auf den Neuling reagieren. In etwa 70% der Fälle ist diese Methode erfolgreich.

Vogelarten mit nur wenigen Jungen, wie zum Beispiel Amseln, Sperlinge, Finken, Grasmücken usw., bemerken es meist, wenn ein fremdes Junges im Nest sitzt und sie werfen es kurzerhand heraus. Dagegen gehören beispielsweise Schwalben und Meisen zu denjenigen Vogelarten, bei denen die Einbringung eines fremden Jungtiers in ein Ammennest erfolgreich sein kann.

Nach dieser langen, aber sehr wichtigen Vorbemerkung möchten wir Sie jetzt aber gern dazu einladen, den informativen Gastbeitrag von Kerstin Zoller zu lesen.

Rauchschwalbenaufzucht Juni bis August 2011

Zwei junge Rauchschwalben, © Kerstin Zoller
Zwei junge Rauchschwalben, © Kerstin Zoller

Ich lebe auf einem urigen, alten Bauernhof, wo ich meine Pferde in drei kleinen Offenstallherden halte. Die Diele ist das Herz des Hofes. Hier hat nicht nur die dreiköpfige Schimmelherde ihren freien Zugang, hier befindet sich auch eine große Sitzecke als „Reiterstübchenersatz“ und das komplette Sortiment meines Reitsportgeschäftes.

Darüber hinaus leben hier meine Hunde, Katzen und eine ganze Reihe von Wildtieren, die sich auf der Diele und dem darüber befindlichen, ungenutzten Heuboden häuslich nieder gelassen haben. Hier überwintern unter anderem alljährlich Fledermäuse und ein Zaunkönig und im Sommer nisten hier Rauchschwalben, die emsig ihre Kreise über unseren Köpfen und durchs Sortiment ziehen. In den anderen zwei Offenställen nisten neben Schwalben auch Grünfinken, Meisen, Tauben und einige Vogelarten, die ich gar nicht kenne.

Eines Morgens Mitte Juni 2011 rief mich meine Freundin in einen der Offenställe: „Schau mal hier, ich glaube da lebt noch eines – hier müssen wir eingreifen.“
Ein komplettes Schwalbennest war von der circa fünf Meter hohen Decke heruntergebrochen. In dem Nestbruch lagen vier kleine, fast nackte Schwalbenküken auf dem Rücken und auf der Seite und waren bereits von ein paar Krabbeltieren besiedelt. Nur das feine Zucken eines Beinchens verriet, das noch ein Schwälbchen zu leben schien.

Ich sammelte die vier ein und stellte fest, dass noch drei ein wenig lebten. Da sie eiskalt waren, nahm ich die drei erstmal mit rein und setzte sie für eine gründliche Reinigung in einer Müslischale, wobei ich auch die Insekten entfernte. Danach ging es in eine zweite Müslischale, die ich mit Küchenpapier ausgelegt hatte. Sie rührten sich nicht und gaben keinen Piep von sich. Sicher mussten sie erstmal dringend Nahrung haben – wer weiss, wie lange sie da unten bereits gelegen hatten.

Was fressen Schwalben? Da die Eltern die Nahrung ihrer Jungen im Flug erjagen, wohl fliegende Insekten. Also schickte ich meine Freundin los, ein paar Fliegen klatschen. In Ermangelung von Traubenzucker und unversetzter Elektrolytelösung (hatte ich nur für Pferde da), nahm ein wenig Wasser mit einer Pipette auf und tropfte davon jedem Küken zwei Tropfen auf die Schnabelseite. Sie fingen an, die Schnäbel zu bewegen und etwas von der Flüssigkeit aufzunehmen. Zwischenzeitlich hatte meine Freundin rund 30 Fliegen erklatscht.

Nächste große Frage: Wie verfüttern Schwalbeneltern die erjagten Insekten? Vorverdaut, mit Flüssigkeit, trocken? Geben sie den Jungtieren zwischendurch Wasser? – Ich wusste es nicht. Also dachte ich mir: kein Wasser extra (könnte ja zu viel werden), dafür die Futtertiere baden Deshalb legte ich die Fliegen auf einen mit Wasser gefüllten Deckel eines Glases und fischte sie dort mit einer Pinzette wieder heraus.

Mit einer Fliege an der Pinzette klopfte ich vorsichtig seitlich an die Kükenschnäbel in der Hoffnung, dass diese sie öffneten. Keine Reaktion. Also holte ich eine zweite Pinzette und öffnete damit vorsichtig den jeweiligen Schnabel, um dann mit der anderen Pinzette die Fliege hinein zu geben. (Achtung: Dies bitte niemals mit erwachsenen Schwalben versuchen! Sie halten bei Aufsperrversuchen des Schnabels mit Muskelkraft dagegen, und da auch der weiche, weisse Schnabelrand nicht mehr vorhanden ist, würde man bei zwangsweisen Öffnungsversuchen den Schnabel mit einer Pinzette heftig verletzen.)

Jedes Mal, bevor ich einen Schnabel öffnete, klopfte ich mit der Futterpinzette vorsichtig an der Schnabelseite an und gab einen „Piepslaut“ von mir – quasi als Futterinfo. Beim dritten Anlauf riss das erste Schwälbchen von selbst den Schnabel auf. Kurz danach folgten die anderen. Schon kurze Zeit später reichte der Piepslaut und alle Schnäbel gingen auf.

Nach dieser Erstversorgung hatte ich dann Zeit, mir Gedanken zu machen, wie ich die drei nun am besten weiterversorge. Beim Googeln landete ich nur auf verschiedenen allgemeinen Infoseiten zu Schwalben – nicht über Handaufzucht – die Seite der Wildvogelhilfe fand ich in einem ganz anderem Zusammenhang leider erst, als meine Küken längst flügge waren.

Diverse Telefonate erbrachten unbefriedigende Auskünfte, die ich so nicht nachvollziehen konnte. Also verließ ich mich auf meinen Verstand und das, was ich bei unseren Schwalbeneltern auf der Diele täglich beobachtete. Die drängensten Fragen waren: Wie viel und wie oft füttern? Und was kann ich noch verfüttern außer Fliegen, damit es keine einseitige Ernährung wird? Wie sollte ich die jungen Vögel optimal unterbringen, damit sie möglichst sicher aufwachsen konnten, aber auch möglichst natürlich – damit sie später überleben würden?

Eine der jungen Rauchschwalben wird gefüttert, © Kerstin Zoller
Eine der jungen Rauchschwalben wird gefüttert, © Kerstin Zoller

Zur Häufigkeit der Fütterung verwarf ich den Rat eines „Vogelkundigen“, der mir riet, immer so viel zu geben, bis die Küken nicht mehr betteln und bis der Kropf voll sei. Bei den Schwalbeneltern sah das anders aus: Fünf bis sechs kleine Küken im Nest bettelten jedes Mal, wenn die Eltern anflogen, aber immer nur eines bekam etwas – und krähte sofort wieder. Ich vermutete, dass das Gebettel auch wichtig sei, um die Lunge zu entfalten und den Stoffwechsel in Gange zu bringen. Also würde ich meine Kleinen ebenfalls betteln lassen und ihnen nur circa alle 15 bis 20 Minuten ein paar Futtertiere verabreichen. Das war nicht weiter problematisch, da mein Arbeitsplatz ja quasi ebenfalls auf der Diele war.

Welche Futtertiere konnt ich ihnen außer Fliegen geben? Fliegende Insekten, die in ein Schwalbenschnäbelchen passen. Leichter gesagt als getan. Schließlich hatten wir aber doch eine Idee: Mit einem ganz feinmaschigen Kescher bewaffnet, wanderten wir über unsere Wiesen, Knick- und Teichränder und fingen so ein Sammelsurium kleiner und großer Insekten. Bienen, Wespen, Marienkäfer und alles, was größer war oder stechen konnte oder nicht fliegen konnte (z.B. Schnecken und Ameisen) sortierten wir aus – aus dem Rest (kleine Gewitterfliegen, Mücken, kleine Grashüpfer etc.) machte ich einen Futterbrei, den ich den jungen Schwalben dann zusätzlich zu den gefangenen Fliegen gab. Drei Tage später erfuhr ich außerdem, dass man Heimchen im Handel bekommt und diese verfüttern könne, dazu später mehr.

Die jungen Rauchschwalben tagsüber in der Diele, © Kerstin Zoller
Die jungen Rauchschwalben tagsüber in der Diele, © Kerstin Zoller

Zur Unterbringung: Ideal wäre es, die Kleinen auf der Diele möglichst hoch unter der Decke unterzubringen, sodass sie die anderen Schwalben und das Treiben an den Nestern beobachten können und ihre eigene Sprache lernen – also von den anderen Schwalben mitlernen. Andererseits ist die Diele auch Aufenthaltsort vieler anderer Tiere. Die Schwalbeneltern haben das im Auge und bewachen ihre Jungen mit Argusaugen und wenn die Katze auftaucht gibt es wilde Warnschreie und dramatische Ablenkflüge und nachts sitzen die Eltern dicht bei ihren Jungen am oder auf dem Nest.

Also eine Zwischenlösung: Im Gartencenter kaufte ich ein künstliches Schwalbennest, das man normalerweise unter Dachbalken anschraubt. Mit einer etwas wilden Hakenkombination montierte ich das Nest an einen Korb, den ich wiederum von der Decke der Diele abhängte, und darüber kam eine Sitzstande für später. Das ganze hing ca. 2,5 Meter über dem Boden und zum Füttern stellte ich eine Trittleiter an. Abends hängte ich das komplette Nest aus (damit ich die Kleinen nicht jedes Mal anfassen musste) und beförderte das Nest ins Esszimmer, wo die Kleinen auf dem Tisch sicher übernachteten.

In ihrem kleinen Nestersatz fühlten sich die beiden jungen Rauchschwalben sehr wohl, © Kerstin Zoller
In ihrem kleinen Nestersatz fühlten sich die beiden jungen Rauchschwalben sehr wohl, © Kerstin Zoller

In der Zwischenzeit bahnte sich bereits einen Tag nach dem Fund der Küken ein Drama an.
Eines der Küken – eigentlich das scheinbar kräftigste Tier – begann das Futter zu verweigern und kotete auch nicht mehr. Es ging sehr schnell bergab und das Küken verstarb noch am selben Tag. Wie sich bei einer Untersuchung später herausstellte, wäre der kleine Vogel nicht zu retten gewesen, denn relativ weit am Ende des Darmtraktes lag ein für so ein kleines Wesen viel zu großer Stein im Darm. Dahinter hatte sich der Fliegenbrei zu einer Kugel angeschoppt. Das Küken hatte einen Darmverschluss erlitten. Ich vermute, dass es in der Nacht am Boden einen Stein in den Schnabel bekommen und mit dem Schluckreflex aufgenommen hatte.

Jetzt hatte ich noch zwei hungrige Mäuler zu stopfen. Schnell merkte ich, dass die Insektenjagd ein tagesfüllendes Programm werden würde. Die Kleinen konnten Unmengen verdrücken. Eine tolle Idee schaffte Abhilfe. Ich informierte unsere örtliche Zeitung, die daraufhin mit Fotos in der gesamten Norddeutschen Rundschau, also in ganz Schleswig-Holstein, über die Kleinen berichtete. Parallel dazu schaltete ich mit meinem Reitsportgeschäft eine Anzeige: „Erklatschen Sie sich Prozente – jede Fliege ein Prozentpunkt Rabatt auf einen Artikel Ihrer Wahl – pro Artikel können maximal 10 % erklatscht werden.“

Dann kaufte ich 20 Fliegenklatschen und stellte auf der Diele einen Tisch mit kleinen Gläsern mit frischem Wasser auf. Die Kunden konnten dann mit Klatsche und Glas bewaffnet über den Hof streifen und Prozente erklatschen. Mitgebracht werden durften die Insekten nicht. Ich wollte sicher gehen, dass niemand wegen der Prozente mit der Sprayflasche Fliegen fängt oder vor einer Woche erklatschte Fliegen anschleppt. Die Aktion fand großen Anklang. Viele kamen einfach so zum Fliegen klatschen, ohne dass sie überhaupt etwas kaufen wollten.

Solange die Küken nicht flügge waren, durfte jeder, der wollte, seine Beute selbst mit der Pinzette von der Leiter aus verfüttern. Besonders die Kinder waren Feuer und Flamme und informierten sich gleich intensiv über Schwalben und ihre Bedürfnisse. Später, als die Kleinen flügge waren, halfen mir meine Kunden und Reiter, den Schwalben Scheu vor Menschen beizubringen, indem sie alle die Schwalben immer, wenn sie die Menschen anflogen, mit der Hand vorsichtig, aber unsanft verscheuchten. Ihnen allen fiel das schwer, aber im Interesse der Schwalben machten sogar die Kinder mit.

Die beiden Rauchschwalben-Geschwister kuschelten sich gern aneinander, © Kerstin Zoller
Die beiden Rauchschwalben-Geschwister kuschelten sich gern aneinander, © Kerstin Zoller

Das war wichtig, denn ich denke, auf ihrem Zug nach Süden würden die Schwalben genügend Menschen begegnen, die es womöglich noch witzig fänden, eine Schwalbe in einem Käfig zu halten – das wäre für die kleinen Tierchen sicher eine Katastrophe. Schnell war ich für die zwei die absolut einzige Bezugsperson, die sie bei Hunger oder in Notsituationen noch ansteuerten.

Letztendlich verfütterten wir täglich rund 1.000 Fliegen, circa 100 Grashüpfer, drei bis vier Mal „Keschermix“ und circa zwei Pakete Heimchen oder Steppengrillen. Wobei ich die zugekauften Lebendtiere immer erstmal einfror. Zum Füttern habe ich nur das entnommen, was sofort verfüttert werden sollte. Nach der Entnahme habe ich den gefrorenen Insekten die Beine entfernt, da sie Widerhaken haben, und dann habe ich die Futtertiere mit kochendem Wasser übergossen um sicherzustellen, dass ich keine Fremdkeime aus dem Zoohandel verfüttere. Anschließend habe ich sie mit kaltem Wasser abgeschreckt. Wenn man einen kleinen Aquarienkescher verwendet und das kochende Wasser mit den Heimchen dort durchkippt und einfach kaltes Wasser hinterherlaufen lässt, geht das ganz schnell.

Die Kleinen wuchsen sehr schnell heran. Anfang Juli konnte ich sehen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis der erste Flugversuch kommen würde. Das warf die nächste Frage auf: Wie sollten die Kleinen ihre ersten Flugversuche sicher überstehen? Die Schwalben auf der Diele fliegen mit ihren unbeholfenen Jungen mit, erzählen die ganze Zeit, schimpfen aufgeregt, wenn die Kleinen einer Katze oder einem Menschen zu nahe kommen und lenken im Notfall die Katzen oder Hunde mit halsbrecherischen Flugmanövern auch ab. Das würde ich nicht leisten können.

Also sollten die Kleinen erst einmal im Esszimmer sicher Starten und Landen lernen. Noch am selben Tag kam der erste unbeholfene Flugversuch des ersten Schwälbchens, der mit einem großen Kackfleck auf meinem lachsfarbenen Vorhang endete – das konnte ja lustig werden

Also habe ich von den drei Fenstern alle Vorhänge abgenommen (gute Gelegenheit, gleich mal zu waschen) und stattdessen Tücher vor die Fenster gehängt, damit die Kleinen da nicht reinfliegen. Außerdem habe ich alle bezogenen Stühle und Bilder rausgestellt und die Schränke ebenfalls mit Tüchern abgehängt. Nun war mein Esszimmer nur noch ein großer Raum voller betuchter Landeplätze mit einem Tisch in der Mitte, wo ein Nest und eine Küchenrolle (mein ständiger Begleiter) standen.

An diesem Tag kamen die Kleinen nicht auf die Diele – sie übten im Esszimmer das Fliegen. Schon nach wenigen Stunden konnten sie sicher starten und landen und Ziele anfliegen. Wenn ich nur die Tür öffnete, wurde ich förmlich überfallen mit dem lauten Futterschrei.

Am nächsten Morgen haben wir dann alle Katzen und Hunde (und zwangsläufig auch die Pferde) von der Diele verbannt, alle Türen geschlossen und nur noch das Kippfenster für die anderen Schwalben offen gelassen, damit sie ihre Jungen weiter versorgen konnten. Dann kamen die Kleinen raus. Als das Nest am gewohnten Ort hing saßen die Zwei auf ihrer Nestkante und waren superinteressiert. Ich ging etwas weg und gab den Futterpieplaut von mir und streckte die Hand aus. Beide antworteten und bettelten und schließlich traute sich die erste Schwalbe, sich aus dem Nest zu stürzen und auf meine Hand zu flattern. Danach brachte ich sie zurück ins Nest.

Das übten wir einige Male. Dann versuchten die zwei eigenständig einen Ausflug über die Diele und wurden sofort von einer der anderen Schwalben massiv attackiert und verfolgt. Verzweifelt flatterte eine der Kleinen planlos über die Diele und durch den Stall und krallte sich schließlich an einem vier Meter hohen Dachbalken fest, während die anderen Altvögel schimpfend um sie herum flatterten.

Ich stellte mich unten hin und rief sie mit dem Futterruf und dann stieß sie sich ab und ließ sich auf kürzestem Weg auf meiner Hand nieder. Die Alten setzten zum Angriff an und drehten dann aber wohl etwas erschüttert ab, als das Schwälbchen auf meiner Hand landete. Diese Attacken wiederholten sich bei beiden Jungschwalben ein paar Mal und immer wieder kamen die Kleinen zu mir und fanden Schutz. Danach haben die anderen zwei Schwalben meine zwei nicht mehr beachtet und auf der Diele auch im Flug akzeptiert.

Während der nächsten beiden Tage übten die Kleinen auf der Diele fleißig das Fliegen und nachts setzte ich das Nest weiterhin ins Esszimmer, wo die zwei als Schlafplatz die stehende Küchenrolle erkoren hatten. Dann waren sie sicher genug mit dem Fliegen, sodass sie die große weite Welt erkunden konnten. Ich öffnete die Dielentür wieder und ging raus und lockte die zwei, mir nachzukommen. Sie folgten mir und flogen piepend in die Höhe. Kurz waren sie über dem Hofdach außer Sicht, dann kamen sie wieder und landeten auf der Dachrinne, wo sie massiv um Futter bettelten.

Die folgenden Tage vergingen damit, dass die zwei Jungschwalben immer längere Ausflüge unternahmen und immer häufiger zwar wiederkamen und „erzählten“, aber nicht mehr um Futter bettelten. Ich gehe also davon aus, dass sie etwas fanden. Schließlich kam der erste Tag, an dem sie den ganzen Tag weg waren und erst abends um 21 Uhr wieder auf die Diele zurückkehrten. Am nächsten Tag dasselbe Spiel – jedoch kam abends nur ein Schwälbchen zurück. Das andere fand ich tot und blutig im Stall. Es wird einem Tier zum Opfer gefallen sein, denke ich. Ganz sicher kann ich das aber nicht sagen. So viel weiß ich aber: Das Leben in freier Natur ist für Vögel ausgesprochen gefährlich und jeder Moment könnte der letzte sein. Es war so bitter, aber so ist die Natur und ich glaube, diese kleine Schwalbe hatte zwar ein kurzes Leben, aber sie wirkte immer, wenn sie sich auf der Diele wieder sehen ließ, richtig glücklich und sie kam immer fröhlich trällernd mit leuchtenden Augen an. Ich denke, der Schwalbe war die Freiheit das Risiko sicher wert.

Ausruhen auf der Hand - für die beiden jungen Rauchschwalben eine willkommene Abwechslung, © Kerstin Zoller
Ausruhen auf der Hand – für die beiden jungen Rauchschwalben eine willkommene Abwechslung, © Kerstin Zoller

Die andere Schwalbe war abends, als sie sich wie sonst mit seinem Geschwister auf der Sitzstange zur Übernachtung niederließ, todunglücklich. Sie rief, sie flatterte hin und her und schließlich flog sie runter auf den Türgriff und steckte den Kopf unter den Flügel um dort zu übernachten. Ein schlechter Übernachtungsort – der Kater hätte gejubelt. Mehrmals scheuchte ich die Schwalbe hoch oder setzte sie auf die Stange und immer wieder suchte sie sich unten einen Schlafplatz oder wollte einfach auf meiner Schulter bleiben. Also nahm ich sie abends mit rein, wo sie sich in der Küche auf der Fernsehantenne niederließ und mir nachdrücklich zu verstehen gab, dass sie diese heute auch nicht mehr verlassen würde. Also schlief sie auf der Fernsehantenne, die ich dafür waagerecht lassen musste, was meine Programmauswahl auf zwei Programme beschränkte.

Am nächsten morgen um 6 Uhr saß sie immer noch auf der Antenne, begrüßte mich fröhlich, reckte sich und putzte sich und dann brachte ich sie raus (es war bestes Wetter), wo sie am Himmel entschwand. Abends gegen 21.30 Uhr kehrte sie zurück . dasselbe Spiel – Futter wollte sie nicht, aber mit rein. Ihr Schlafplatz war die Fernsehantenne.

Das ging zwei weitere Tage so, dann bekamen wir Traumwetter und die kleine Schwalbe war drei oder vier Tage und Nächte nicht mehr da. Ab und an hörte und sah ich sie, wenn sie in einem Schwarm anderer Jungschwalben über meinem Dieleneingang kreiste. Ich rechnete aber nicht damit, dass sie noch einmal wieder richtig zurückkommen würde.

Als das Wetter umschlug und es selbst für die erfahrenen Altschwalben von der Diele nichts mehr zu jagen gab, tauchte mein Kleiner plötzlich wieder auf, steuerte mich „krähend“ an, landete wie selbstverständlich auf meiner Schulter und verlangte Futter – und abends die Fernsehantenne.

Mittlerweile ist es so, dass der junge Vogel nur noch sehr selten kommt, bei allerschlechtestem Wetter, aber dann ist er mit mir so vertraut wie eh und je. Anderen geht er aus dem Weg – Mensch wie Tier. Ich denke, der Kleine hat die wichtigsten Lektionen gelernt und hat eine gute Chance, durchzukommen. Ich wünsche ihm sehr, dass er die weite Reise ins südliche Winterquartier schafft und vielleicht sehe ich ihn ja nächstes Jahr an seinem alten Nest wieder

Die jungen Rauchschwalben saßen gern auf der Dachrinne - oft sogar dann, wenn sich dort Haussperlinge aufhielten, © Kerstin Zoller
Die jungen Rauchschwalben saßen gern auf der Dachrinne – oft sogar dann, wenn sich dort Haussperlinge aufhielten, © Kerstin Zoller

Vielleicht noch ein paar Anmerkungen zu dem „Dreck“, den Schwalben angeblich so schlimm machen sollen und weshalb sie so oft vertrieben werden: Die Schwalben fangen Unmengen von Insekten weg, was besonders unsere Pferde sehr dankbar zur Kenntnis nehmen, denn sie finden auf der Diele Dank der vielen Schwalben immer einen nahezu insektenfreien Unterstand. Dort, wo Nester sind, legen wir einfach Pappen auf den Fußboden, sodass die Vögel nur die Pappe beschmutzen. Das, was die Schwalben mal im Flug fallen lassen, ist wenig und schnell wegzuwischen. Meistens verrichten sie ihr Geschäft erst, wenn sie draußen sind. Lediglich wenn die Kleinen flügge werden, bedeutet das solange sie unsicher fliegen etwas mehr Dreck. Aber das sieht man ja vorher, wenn es soweit ist. An diesen Tagen decken wir einfach das Sortiment und unser Sattelzeug mit alten Tüchern und Stoffen ab. Es dauert nur zwei oder drei Tage, dann sind die Kleinen auch bereits mehr draußen als drinnen unterwegs, und nur da, wo sie nachts zum Schlafen sitzen findet, man morgens die Kotberge. Da sie aber meistens die gleichen zwei oder drei Schlafplätze wählen, kann man dort auch einfach etwas unterlegen. Das bisschen Mühe wird tausendmal wettgemacht durch wunderschönes, fröhliches Gezwitscher und durch einen fliegenarmen Stall.