Matjes – eine Erfolgsstory (4)

Gastbeitrag von Hilu Lalic, Juli 2003

Bitte beachten Sie: Dieser Gastbeitrag ist keine Anleitung zur Aufzucht, Ernährung und Unterbringung von Wildvögeln. Lesen Sie zu diesen Themen bitte unsere entsprechenden Kapitel unseres Internetprojekts, siehe Navigationsleiste oben auf der Seite.

Die fünfte Woche.

Zu der episodenhaften Mattigkeit und der Regenwurmphobie hat sich nun noch ein Schnupfen gesellt. Matjes niest immer häufiger. Ein zischendes „pfft“, das ich schon häufiger bei Vögeln gehört habe. Er leidet augenscheinlich nicht darunter, sondern empfindet es wohl eher als lästig. Wir machen weiterhin unsere Lernübungen zwischen den Stauden und verfeinern unsere Fähigkeiten, Mehlwürmer aufzuspüren. Bei meinem Mann regen sich auch erste Neurosen: „… du Schatz, ich hab hier eine total leckere Heuschrecke gefunden …“. Regenwürmer sind nach wie vor tabu. Sieht der mittlerweile große Vogel einen, so versteckt er sich oder fliegt davon.

Am Wochenende hat sich das Niesen dramatisch verschlechtert. Matjes sitzt nur noch auf dem Boden und niest häufig. Gegen Abend wird sein Zustand immer schlechter und wir setzen einen Notruf im damals noch existierenden Wildvogelhilfe-Forum ab. Anke und Dagmar vermuten Luftröhrenwürmer und raten zu Panacur, einem Wurmmittel. Wir nehmen Kontakt zu einem Tierarzt auf, der den Vogel sehen möchte. Genau das ist aber das Problem. Matjes ist nun ca. fünf Wochen alt und eigentlich fertig zur Aus- bzw. Verwilderung. Fangen lässt er sich nicht, und wenn es mir doch gelingt, kann ihn das so stressen, dass er den Kontakt zu mir ganz verliert. Das heißt dann, dass ich nicht mehr in der Lage bin, ihm über einen Zeitraum von mehreren Tagen kontrolliert Medikamente zu geben. Verzweifelte Situation in der ich diejenigen beneide, die ihren kleinen Schützling im Käfig halten.

Aber der Tierarzt hat Verständnis und schenkt uns eine Tablette Panacur 250 mg. Bei der genauen Dosierung wollte er sich nicht festlegen, da das Medikament in Deutschland für Vögel nicht freigegeben ist und er nur Erfahrung mit anderen Haustieren hatte. Hier lag das Verhältnis von Wirkstoff zu Körpergewicht bei 50 mg auf 1000 g Kgw. Das Wildvogelhilfeforum und die Internetseiten der Hersteller (zum Beispiel Intervet, siehe hier) bestätigten diese Auskunft.

Nun wissen wir also, dass 4 – 5 mg für die 80 – 100 g unseres Matjes ausreichend sind und er diese Dosis an drei aufeinander folgenden Tagen bekommen muss. Und nach acht bis zehn Tagen noch einmal eine Dosis zu 5 mg.

Mein Mann hat die Tablette fachgerecht portioniert und das Pulver in drei Beoperlen versteckt, die Matjes als erstes zu Fressen bekommt, um sicher zu sein, dass er das Medikament auch ganz bekommt. Das Aufteilen der Tabletten lässt sich auf verschiedene Art bewerkstelligen. Wir haben es so gemacht, wie oben beschrieben, also trocken. Wir legten uns einen kleinen sauberen Spiegel zurecht und eine Rasierklinge. Die Tablette liess sich auf diese Weise achteln, danach zerdrückten wir diese Teilmenge zu Pulver auf dem Spiegel und zogen mit der Klinge Linien, die wir jeweils halbierten bis wir auf 3,90 mg gekommen sind (250 > 125 > 62,5 > 31,25 > 15,65 > 7,81 > 3,90). Diese Menge in zwei bis drei wassergequollene Beoperlen vermengen. Den Vorgang wiederholten wir noch drei Mal (drei Dosen à 4 mg für die nächsten drei Tage und eine für in acht bis zehn Tagen).

Eleganter geht es allerdings so: man lässt sich beim Apotheker eine Flasche Aqua dest (destilliertes Wasser) zu 50 ml und eine kleine Einmalspritze geben. Im Wasser wird die Tablette aufgelöst, so, dass nun 250 mg Wirkstoff in 50 ml Wasser sind. Also entspricht 1 ml der Flüssigkeit genau 5 mg des Wirkstoffes Panacur. Diese Menge gibt man mit der Einmalspritze vorsichtig auf ein bis zwei trockene Beoperlen oder direkt in den Schlund des Vogels. Der Apotheker berät einen bei Unsicherheit gern. Viele Tierärzte benutzen von vornherein Fertiglösung (Suspension), die sich noch einfacher dosieren lässt.

Krise.

Badetag bei Amsel Matjes, © Hilu Lalic
Badetag bei Amsel Matjes, © Hilu Lalic

Irgendwie hatten wir ein gutes Gefühl. Das Füttern den präparierten Perlen gelang und ich glaubte auch schon Besserung zu hören. Doch dann am zweiten Tag wurde Matjes plötzlich vollkommen apathisch und verkroch sich nur in dunkelste Ecken. Seine Fresslust ließ nach und die Frequenz der Nieser nahm zu. Mittlerweile lag sie bei drei bis vier pro Minute und machte dem Vogel sichtlich zu schaffen. Wir fühlten uns absolut hilflos und dachten der kleine Kerl muss sterben. Er schleppte sich hinter uns her und suchte sogar leise piepend die Nähe meines Mannes, der ihm sonst Angst einflößte.

Was war geschehen? Entweder war die Diagnose falsch oder das Mittel zu schwach oder zu heftig oder alles zusammen. Wieder ging ein Notruf raus zum Wildvogelhilfe-Forum. Wieder kam Trost und wohltuende Sorge, aber es half alles nichts – es war Sonntag und Matjes musste die Nacht überstehen, um dann doch den Tierarzt zu kontakten.

Weiter geht es mit dem Kapitel Matjes – eine Erfolgsstory (5).