Matjes – eine Erfolgsstory (2)

Gastbeitrag von Hilu Lalic, Juli 2003

Bitte beachten Sie: Dieser Gastbeitrag ist keine Anleitung zur Aufzucht, Ernährung und Unterbringung von Wildvögeln. Lesen Sie zu diesen Themen bitte unsere entsprechenden Kapitel unseres Internetprojekts, siehe Navigationsleiste oben auf der Seite.

Nach dem Füttern war Matjes immer sehr müde. Je größer er wurde und je mehr er fraß, desto länger waren die Ruhephasen. Zuerst beunruhigte mich dieses Verhalten und ich glaubte, er sei krank. Aber andererseits ist es ja so, dass die Jungtiere von ihren Eltern etwa alle 5 – 15 Minuten einen bis zwei Regenwürmer zu fressen bekommen, also immer genügend Zeit zum Verdauen dieser kleiner Menge haben. Wir Menschen stopfen dem Winzling jede Stunde einmal den kleinen Magen voll und der muss dann diese riesige Menge verdauen. Der Stoffwechsel kostet den Organismus die meiste Kraft. Ein Grund, warum kranke Tiere nichts oder wenig essen und uns Menschen ein kontrolliertes Fasten auch so gut tut.

Amsel Matjes auf der Skulptur, © Hilu Lalic
Amsel Matjes auf der Skulptur, © Hilu Lalic

Ich hatte mir vorgenommen, Matjes so natürlich wie möglich aufzuziehen. Das hieß, dass wir es vermieden ihn zu berühren, was er aber auch schon sehr bald gar nicht mehr zuließ und, dass wir uns nur pfeifend mit ihm unterhielten. Wir ahmten einfach seinen Hungerschrei nach und er reagierte sofort. Im Laufe der Zeit sollte sich daraus eine echte kleine Erkennungsmelodie ergeben. Weiterhin wollten wir ihm alles das, was wir in den letzten Jahren bei Amseln beobachtet haben weitervermitteln. Keine leichte Aufgabe. Wir gingen davon aus, dass Elvis sein Vater sei und seine Mutter Elvira. Aber Elvira ist verschwunden und Elvis kümmert sich nicht um ihn und er ließ sich auch nur selten blicken.

Matjes allein zuhause.

Am Ende der dritten Lebenswoche sind seine Flugkünste ausgereifter. Sobald wir den Garten betreten meldet er sich mit lautem Pfeifen, das von uns erwidert wird. Dann kommt er auch schon in halsbrecherischer Art aus hohen Wipfeln im Sturzflug herunter und erwartet, dass wir ihn am Landeplatz füttern. Solche Flüge können nun schon bis 15 Meter weit sein. Mittlerweile hat seine Zutraulichkeit etwas nachgelassen, da er offensichtlich in einem Konflikt mit seinem Instinkt ist. Die anderen Amseln im Garten stoßen nämlich ihre üblichen Warnschreie aus, wenn sie uns sehen, und trotzdem sind wir es doch, die ihm das Fressen bringen.

Mein Mann wird von ihm nun immer argwöhnischer betrachtet und er ist zunehmend auf mich fixiert. Nun, nachdem er rund sieben Tage bei uns ist, müssen wir ihn leider einer ersten unfreiwilligen Bewährungsprobe unterziehen: wir haben einen wichtigen Termin in Bonn, was für Matjes heißt, dass wir ihn fast acht Stunden alleine lassen müssen.

Wir haben uns gegen die Hilfe von Freunden entschieden, die den Vogel hätten füttern können, da wir nicht wollten, dass er mit zu vielen unterschiedlichen Personen Kontakt hat. Einziger Trost war es, dass unser Elvis plötzlich auftauchte und offensichtlich mit einer neuen Elvira (II) ein altes Amselnest bezogen hatte! Im Nest waren bereits Eier und das Weibchen brütete ausdauernd. Elvis konnte also rein zeitlich nicht der Vater unseres Amselkindes sein – trotzdem baute ich darauf, dass die beiden ein wenig auf Matjes schauten. Schweren Herzens und schlechten Gewissens fuhren wir also und ließen unseren kleinen Lieben zurück. Sehr riskant.

Weiter geht es mit dem Kapitel Matjes – eine Erfolgsstory (3).