Kollisionsunfälle und ihre Folgen
Eine der häufigsten Unfallursachen, die Wildvögel betrifft, ist der sogenannte Vogelschlag. Hierbei fliegt ein Vogel mit mehr oder minder hohem Tempo gegen ein Hindernis, das er entweder nicht als Gefahr erkannt oder nicht gesehen hat. Oder aber das Tier konnte einem sich rasch bewegenden Objekt nicht mehr ausweichen. Das heißt, die Vögel fliegen beispielsweise gegen Glasscheiben (Fenster), gegen Hochspannungsleitungen oder prallen mit fahrenden Autos zusammen, deren Geschwindigkeit sie nicht einschätzen konnten. Auch während des nächtlichen Vogelzugs im Frühling und Herbst kommt es immer wieder zu Kollisionen. Vögel fliegen dann zuhauf gegen nachts beleuchtete Bürohochhäuser; auf See werden ihnen Offshore-Windenergieanlagen zum Verhängnis.
Nur die wenigsten Vögel überleben einen Zusammenstoß mit einem fahrenden Auto, auch die Kollision mit Glasscheiben oder Windenergieanlagen führt oft zum sofortigen Tod durch Genickbruch oder schwerste innere Verletzungen. Zusammenstöße mit Hochspannungsleitungen enden oft ebenfalls mit dem Tod des betroffenen Vogels.
Bei den wenigen Vögeln, die Kollisionsunfälle überleben, tritt eine Reihe typischer Verletzungen besonders häufig auf. Diese werden auf dieser Seite sowie in den verlinkten angegliederten Kapiteln erläutert:
- Ausgekugelte Gelenke
- Gehirnerschütterung
- Knochenbrüche
- Luftsackrisse
- Nasenbluten
- Platzwunden
- Schädel-Hirn-Trauma und Hirnblutungen
- Schnabelbruch
- Wirbelsäulenverletzungen
Ausgekugelte Gelenke
Durch den harten Aufprall infolge eines Unfalls können die empfindlichen Schultergelenke der Vögel auskugeln. Die unsanfte Landung auf dem Boden unmittelbar nach dem Unfall kann zudem dazu führen, dass die Hüftgelenke auskugeln, siehe Beschreibung. Dann steht das betroffene Bein mehr oder minder stark seitlich ab. Eine vollständige Heilung ist leider nur selten möglich, viele betroffene Vögel bleiben nach einer Luxation des Hüftgelenks in aller Regel zeitlebens gehandicapt.
Ist ein Schultergelenk eines Vogels ausgekugelt, hängt der betroffene Flügel meist schlaff herab, lässt sich dabei aber vom Tier oft durchaus noch ein wenig bewegen. Fliegen ist hingegen nicht mehr möglich. Auch im Fall einer Schulterluxation ist eine vollständige Heilung bei einem Vogel leider nicht immer möglich.
Gehirnerschütterung
Während der Kollision mit einem langsam fahrenden Auto, einem Fenster oder einem anderen Hindernis prallen fast alle Vögel mit dem Kopf voran gegen den harten Gegenstand. Ihre Fluggeschwindigkeit wird augenblicklich abgebremst und ein dumpfer Schlag wirkt dabei auf die Kopfregion ein. Hierdurch entsteht in vielen Fällen eine Gehirnerschütterung, wobei der Schweregrad variieren kann; ergänzend kann es zu Platzwunden im Schädelbereich oder zu Verletzungen des Schnabels bzw. der empfindlichen Nasenhaut kommen. Sofern der Schnabel nicht bricht, sind diese Verletzungen meist weniger gravierend als die eigentliche Schädelverletzung. Sämtliche das Gehirn betreffende Traumafolgen können für Vögel potenziell lebensbedrohlich sein!
Leidet ein Vogel an einer Gehirnerschütterung, ist er in den meisten Fällen orientierungslos, sitzt benommen und zusammengekauert auf dem Boden. Das Gefieder ist in aller Regel stark aufgeplustert und die Augen sind geschlossen. Manche Vögel liegen benommen auf dem Rücken, oft in verdrehter Körperhaltung.
Eine Gehirnerschütterung verursacht beim Menschen Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, starke Kopfschmerzen sowie eine Überempfindlichkeit der Augen gegen Licht und eine hohe Geräuschempfindlichkeit. Beobachtungen an Vögeln lassen den Schluss zu, dass die Tiere ähnlich empfinden, wenn sie an einer Gehirnerschütterung leiden. Sie sollten deshalb nach Möglichkeit in einer dunklen, ruhigen und nicht zu kühlen Umgebung untergebracht werden. Alle optischen und akustischen Reize des Gehirns sind zu vermeiden.
Knochenbrüche
Bei einem Zusammenstoß mit einem harten Gegenstand brechen sich viele der verunfallten Vögel einen oder mehrere Knochen. Betroffen sind vor allem die Flügel oder die Beine, letztere oft durch einen Sturz nach dem eigentlichen Kollisionsunfall. Eine Heilung solcher Knochenbrüche ist in vielen Fällen zwar langwierig, aber durchaus möglich. Allerdings bleiben viele Opfer eines solchen Aufprallunfalls infolge ihrer Verletzungen zeitlebens gehandicapt.
Weitere Informationen über Beinbrüche finden Sie im Kapitel über Erkrankungen der Beine und Details über Flügelbrüche im Kapitel über Flügelerkrankungen.
Luftsackrisse
Wildvögel verfügen neben ihrer Lunge über weitere Organe ihres komplexen Atmungssystems. Es handelt sich dabei um die sogenannten Luftsäcke. Prallen sie mit einem harten Gegenstand zusammen, können sich die Tiere einen Luftsackriss zuziehen. Durch die Kollision werden die ballonartigen Strukturen im Körper so stark gestaucht, dass ihre zarte Hauthülle reißt. Auch dann, wenn Wildvögel von einem Säugetier wie einer Katze angegriffen werden, kann es zu dieser Art der inneren Verletzung kommen – die Symptome sind bei beiden Ursachen gleich. Der betroffene Vogel zeigt an seinem Körper starke Schwellungen, die wie große Blasen aussehen, wenn man die darüber liegenden Federn zur Seite streicht. Er muss von einem Arzt behandelt werden, damit die schmerzhaften Schwellungen, die zudem oft die Atmung behindern, sich zurückbilden. Woran man einen Luftsackriss erkennt, können Sie hier nachlesen.
Nasenbluten
Durch eine Kollision mit einem harten Gegenstand können bei einem Vogel Verletzungen im Rachen und in der Nase sowie in den Nasennebenhöhlen entstehen. Das Tier blutet dann aus der Nase. Es gibt keine Möglichkeit, Nasenbluten bei Vögeln mit Hausmitteln zu stoppen. Starkes Nasenbluten muss von einem fachkundigen Tierarzt behandelt werden, allerdings geht es häufig mit einer Gehirnerschütterung oder anderweitigen schweren Kopfverletzungen einher. Deshalb sind die verunfallten Vögel mit äußerster Vorsicht zu transportieren, denn jedwede Erschütterung könnte ihren Gesundheitszustand weiter verschlechtern.
Platzwunden
Durch einen harten Aufprall können am Kopf oder selten am Körper eines Vogels Platzwunden entstehen, die oft stark bluten. Platzwunden müssen mit einem blutstillenden Mittel und/oder mit einer sterilen Druckkompresse behandelt werden. Lässt sich eine Blutung nicht stoppen, muss umgehend ein Tierarzt zu Rate gezogen werden. Gegebenenfalls müssen Wunden, die durch einen Kollisionsunfall entstanden sind, gereinigt werden, wenn das betroffene Tier beispielsweise nach einem Zusammenstoß mit einem Auto blutend im Staub am Straßenrand gelegen hat. Die Wundreinigung sollte von einem Tierarzt oder einem erfahrenen Vogelpfleger vorgenommen werden. Normalerweise heilen vom Tierarzt versorgte und gegebenenfalls genähte Platzwunden relativ rasch und problemlos. Ein starker Blutverlust kann das betroffene Tier jedoch enorm schwächen, weshalb einige Tage Ruhe und Schonung mitunter notwendig sind.
Schädel-Hirn-Trauma und Hirnblutungen
Die Folge einer Kollision mit einer Glasscheibe oder einem fahrenden Auto kann eine Verletzung innerhalb des Schädels sein. Ein Hirntrauma oder eine Hirnblutung sind so gravierend, dass betroffene Vögel in aller Regel binnen weniger Minuten sterben beziehungsweise nur durch eine sehr langwierige, intensive Pflege durch den Menschen zu retten sind, falls sie den Unfall überleben.
Hirnblutungen führen meist dazu, dass sich ein Blutgerinnsel bildet, das Blutgefäße blockiert. Dadurch werden Teile des Gehirns nicht mehr richtig durchblutet, wodurch wiederum Lähmungen in Körperteilen entstehen, die von den betroffenen Hirnregionen kontrolliert werden. Oft fehlt nach einer Hirnblutung der Pupillenreflex in einem oder in beiden Augen, das heißt, bei Lichteinfall ziehen sich die Pupillen nicht mehr zusammen. Mit einer Hirnblutung kann auch ein Hirnödem einhergehen, dabei lagert sich Gewebeflüssigkeit im Gehirn ein. Durch diese Flüssigkeitsansammlung innerhalb des Schädels kommt es häufig dazu, dass ein Auge (selten beide) nach außen gedrückt wird. Die daraus entstehende Wölbung ist selbst für einen Laien deutlich zu erkennen.
Zudem leiden Vögel nach einer Hirnblutung meist an Krämpfen, die den gesamten Körper betreffen. Auch Fehlstellungen des Kopfes (starke Neigung zur Seite) oder des Schwanzes sind meist die Folge. Ein weiteres typisches Merkmal dieser Art der inneren Verletzung ist, dass sich die betroffenen Vögel immerzu im Kreis drehen. Nicht immer ist eine Heilung in solch schweren Fällen möglich. Sie sollten dem Vogel aber unbedingt Zeit geben zur Regeneration.
Hirntraumata, bei denen es nicht zu einer Blutung innerhalb des Schädels kommt, sind mit ähnlichen Symptomen wie Hirnblutungen verbunden, allerdings ist oft eine Heilung möglich. Diese ist jedoch in aller Regel ausgesprochen langwierig und nur durch eine intensive Pflege des erkrankten Vogels zu erzielen. Deshalb muss sehr sorgfältig überlegt werden, ob sich das betroffene Tier für eine mitunter mehrere Monate dauernde Haltung in menschlicher Obhut überhaupt eignet. Ist eine Wiederauswilderung nicht möglich, so sollte gegebenenfalls frühzeitig nach einem guten Dauerpflegeplatz für den betroffenen Vogel gesucht werden.
Auch beim Hantieren mit Kollisionsopfern sind die notwendigen Hygienemaßnahmen zu beachten.
Insbesondere Spechte sind sehr häufige Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma in Folge von Kollisionsunfällen. Bei ihnen ist es fast nie nur mit Abwarten und Ruhe getan, sondern sie benötigen in der Regel mehrere Tage bis Wochen bis zur vollständigen Genesung.
Typische Krankheitssymptome sind bei ihnen Kopfschiefhaltung, Lähmungen, vor allem der Beine und massive Gleichgewichtsprobleme. Oftmals sind sie nicht in der Lage selbstständig zu fressen und müssen daher entweder von Hand gefüttert werden, oder sie fressen mit etwas Hilfestellung durch den Pfleger selbst, wenn dieser das Futter direkt vor den Schnabel hält oder den Specht direkt vor den Napf setzt. Nachts sind unbedingt die Wassergefäße zu entfernen um ein Ertrinken darin zu verhindern.
Die Behandlung erfolgt auch bei den Spechten vordergründig durch Ruhe, Vermeiden von äußeren Reizen und Vitamin B Komplex-Gaben. Homöopathische Mittel, wie Hypericum und Traumeel können unterstützend verabreicht werden. Das Wichtigste bei der Behandlung von Spechten mit Schädel-Hirn-Trauma ist jedoch Geduld. In sehr vielen Fällen können selbst Spechte, die anfangs nicht in der Lage sind, aufrecht zu sitzen, ihre Beine zu benutzen oder selbst zu fressen, nach erfolgreicher Pflege wieder in die Freiheit entlassen werden.
Schnabelbruch
Bei einem harten Aufprall mit hoher Geschwindigkeit kann der Schnabel eines Vogels brechen. Wie gravierend die Verletzung ausfällt, hängt von verschiedenen Faktoren wie dem Aufprallwinkel und der Geschwindigkeit ab. Möglich sind feine Risse (Fissuren) im Schnabel, die man nur bei sehr genauem Hinschauen überhaupt bemerkt, oder Brüche, bei denen Teile des Ober- bzw. Unterschnabels abknicken oder vollständig abgetrennt werden.
Schnabelbrüche stellen in verschiedener Hinsicht eine Gefahr für Vögel dar. Einerseits können die betroffenen Tiere unmittelbar nach dem Bruch infolge des hohen Blutverlustes – der Schnabel sitzt auf einem knöchernen, gut durchbluteten Kern – sterben oder geschwächt werden. Auf der anderen Seite bedeutet ein defekter Schnabel für die Tiere in freier Natur meist das sichere Todesurteil, weil sie sich nicht mehr selbstständig ernähren können.
Abgebrochene Schnäbel zu kleben, ist nur in den seltensten Fällen möglich, oft bleiben die angeklebten Fragmente nicht lange haften. Einen Versuch ist es jedoch häufig wert. Viele Tierärzte verfügen allerdings nicht über das nötige Wissen, um Schnäbel kleben zu können. Man sollte deshalb einen auf die Behandlung von Vögeln spezialisierten Tierarzt aufsuchen. Die Wildvogelhilfe-Leserin Sylvia hat im Kapitel über Schnabelverletzungen ihre Erfahrungen mit der Anfertigung von Schnabelprothesen beschrieben.
Nach einem Schnabelbruch sollte man den betroffenen Vogel sehr genau beobachten. In der Akutphase benötigt das Tier sehr weiches Futter, weil die Bruchkanten äußerst schmerzempfindlich sind. Manche Vögel müssen vom Menschen zwangsernährt werden, was nur erfahrene Pfleger übernehmen sollten, um den bereits verletzten Schnabel nicht noch weiter zu schädigen. Nach einigen Tagen lässt die Schmerzempfindlichkeit nach. Stellt sich dann heraus, dass das Tier mit dem verletzten Schnabel oder dem verbliebenen Stumpf noch immer selbstständig Nahrung aufnehmen kann, so kann man es nach Absprache mit dem behandelnden Tierarzt bald wieder in die freie Natur entlassen.
Tiere, bei denen eine selbstständige Nahrungsaufnahme nicht gewährleistet ist, können nur durch menschliche Hilfe in Gefangenschaft überleben. Hier ist ein Abwägen der Situation des Vogels gemeinsam mit dem behandelnden Tierarzt unabdingbar, denn meist wachsen in der Nähe des Schnabelgrundes abgebrochene Schnäbel nicht mehr nach. Das heißt, der betroffene Vogel ist für den Rest seines Lebens nicht mehr dazu in der Lage, eigenständig Nahrung aufzunehmen.
Wirbelsäulenverletzungen
Durch Kollisionsunfälle kann die Wirbelsäule eines Vogels schwer geschädigt werden, Ärzte sprechen von einem Wirbelsäulentrauma. Der Aufprall kann zu Stauchungen, Quetschungen und Hämatomen durch Prellungen führen, die starke Schwellungen verursachen. Diese wiederum drücken auf die Nervenkanäle, Lähmungen in Flügeln oder Beinen können die Folge sein. Der verunfallte Grünspecht auf der Abbildung hat ein Hämatom am Rücken erlitten, wodurch seine Beine gelähmt sind.
Durch eine Röntgenaufnahme lässt sich klären, ob die Knochen unverletzt geblieben sind, denn es kann in besonders schlimmen Fällen durchaus vorkommen, dass die Wirbelsäule eines Vogels infolge eines Unfalls bricht. Wird hierbei das Rückenmark durchtrennt, was nahezu immer der Fall ist, so ist das gefiederte Unfallopfer von der Bruchstelle abwärts bis zum Schwanz hin gelähmt. Dies entspricht einer Querschnittlähmung beim Menschen. Eine Heilung ist bei einer derart gravierenden Verletzung nicht mehr möglich. Vögel, deren Wirbelsäule gebrochen ist und die querschnittgelähmt sind, sollte man durch einen Tierarzt von ihrem Leiden erlösen lassen.