Vorurteile gegen Rabenvögel
Beitrag von Dagmar Offermann, Team Wildvogelhilfe
Rabenvögel haben beim Großteil der Bevölkerung einen schlechten Ruf. Das Verhältnis der meisten Menschen zu ihnen ist mit Ängsten und Vorurteilen belegt, die durch unsachgemäße Berichterstattung in den Medien regelmäßig geschürt werden. Man hört beispielsweise oft, Rabenvögel würden anderen Singvögeln oder dem Menschen schaden. Die Wahrheit ist jedoch, dass sich diese schönen und hochintelligenten Tiere durch das gezielte Aufsammeln von Schnecken und Käferlarven sowie durch Aasverwertung nützlich machen. Andere Aasfresser wie der Wolf und der Bär sind durch Menschenhand in weiten Teilen Europas bereits ausgerottet worden.
Es existiert zudem kein wissenschaftlicher Nachweis für negative Auswirkungen von Rabenvögeln auf irgendeine Vogelpopulation. Das Gerücht über Angriffe von Rabenvögeln auf gesunde Lämmer oder auf Menschen ist ebenfalls billigster Klatsch und hängt wohl eher mit rein fiktiven Filmen wie Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ zusammen.
Lediglich vereinzelt gibt es menschengemachte Problemsituationen, in denen Rabenvögel Menschen anzugreifen beziehungsweise sich dem Menschen gegenüber zur Wehr zu setzen versuchen. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Brutplatz eines Rabenvogels massiv durch den Menschen gestört wird, was ein Verteidigungsverhalten beim Tier auslöst. Unter Umständen ist es auch möglich, dass ein durch den Menschen fehlgeprägter Rabenvogel andere Menschen attackiert. In beiden Fällen ist ganz klar nicht der Rabenvogel sondern der Mensch der Verursacher des Problems.
In jüngster Zeit strahlen sogar die sonst um Objektivität bemühten öffentlich-rechtlichen Fernsehsender vermehrt Beiträge aus, die gezielt über vermeintliche „Untaten“ der Rabenvögel berichten. Auffällig ist hierbei, dass in diesen Berichten kaum Fachleute zu Wort kommen. Gezeigt werden hingegen hauptsächlich Menschen, deren „Tierliebe“ sich auf bestimmte Arten begrenzt, zu denen die Rabenvögel ohne Zweifel nicht gehören.
Aufgrund dieser wenig objektiven oder gar wissenschaftlich nicht korrekten Berichte verstärkt sich in der Öffentlichkeit die Ablehnung gegen Rabenvögel. Darüber hinaus werden Forderungen nach deren Abschuss bedauerlicherweise immer wieder lauter. Beispielsweise wurden 2005 unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschung im Landkreis Leer – jedem deutschen Gesetz widersprechend – völlig sinnlos 12.000 Rabenkrähen und Elstern umgebracht, siehe: Der Spiegel 12/2005: Massentod im Krähenfang. Mehr als ein Jahrzehnt ist inzwischen vergangen, doch die Hatz hört nicht auf. Es geht immer weiter. Auch im Jahr 2016 sind die Rufe laut: Massenabschuss von Rabenkrähen und Elstern in Oberösterreich geplant.
Vielerorts werden Krähen in der Nähe landwirtschaftlich genutzter Flächen aufgehängt, siehe folgende Abbildungen. Es handelt sich dabei in aller Regel nicht um zuvor getötete Tiere! Die Krähen werden bei lebendigem Leibe mit einem Seil an einer hohen Stange fixiert, damit sie vor Angst, Schmerz und Schreck um ihr Leben schreien. Hiermit erhoffen sich manche Landwirte eine abschreckende Wirkung auf andere Rabenvögel. Dies ist eine Praktik, die mit Sicherheit kein aufgeklärter Mensch akzeptieren kann, da sie als grausamste Folter zu bezeichnen ist.
Für eine Bejagung der Rabenvögel gibt es keinerlei wissenschaftliche Rechtfertigung. Die Jagd ist nicht nur aus ökologischen und naturschutzfachlichen Gründen abzulehnen, sondern darüber hinaus wie die Bejagung anderer Tierarten ethisch und evolutionär äußerst fragwürdig. Mehr zu der komplexen rechtlichen Situation rund um die Jagd auf Rabenvögel finden Sie hier.
An dieser Stelle möchten wir auf eine Gruppe engagierter Menschen aufmerksam machen, die sich die Schaffung von Akzeptanz für eine Koexistenz von Menschen und Rabenvögeln zum Ziel gesetzt hat. Die Bundesarbeitsgruppe Rabenvogelschutz möchte die Tiere, ihre Brutstätten und ihren Lebensraum schützen, indem sie die Bevölkerung, die Behörden und die Politik über die Verhaltensökologie der Vögel und über deren Wechselwirkungen mit menschlichem Handeln aufklärt und hinsichtlich konstruktiver und kreativer Wege des Umgangs mit ihnen unterstützt. Zu diesem Zweck erarbeitet sie Konzepte und Informationsmaterial und stellt ihre Expertise in Form von Handlungsempfehlungen und Beratung innerhalb und außerhalb des NABU zur Verfügung.
In den weiteren Kapiteln dieses Sonderbeitrags, siehe Navigationsleiste, können Sie sich über Rabenvögel informieren. Sie finden unter anderem eine ausführliche Beschreibung der Saatkrähe (Corvus frugilegus), die exemplarisch für die in Deutschland vorkommenden Rabenvögel stehen soll. Kurze Hintergrundinfos über weitere Rabenvogelarten finden Sie im Kapitel Rabenvogel-Beschreibungen. Die Texte werden hoffentlich dazu beitragen, dass der eine oder andere Leser Schluss mit seinen Ängsten und Vorurteilen macht. Vielleicht gewinnen die Rabenvögel dadurch sogar den einen oder anderen neuen Freund, den sie dringend benötigen!