Gleitflug oder Segelflug
Beitrag von Gaby Schulemann-Maier, Team Wildvogelhilfe
Sich fliegend fortzubewegen, verschlingt große Energiemengen, wenn man als Vogel einen schweren Körper hat oder dazu gezwungen ist, regelmäßig weite Strecken aus eigener Muskelkraft zurückzulegen. Manche Vögel fliegen mehrere hundert Kilometer weit, um nur eine einzige Mahlzeit für sich und ihren Nachwuchs herbeizuschaffen – und bis ihre Nachkommen selbst zu Langstreckenfliegern werden, müssen die Eltern alle Flugstrecken zusammengenommen somit gewaltige Entfernungen bei der Nahrungssuche und -beschaffung bewältigen. Es sind vor allem diese Weitflieger und die Schwergewichte unter den Gefiederten, die eine ausgesprochen ökonomische Flugart für sich entdeckt haben: das Gleiten oder Segeln auf Luftströmungen. Dabei werden mehr oder minder große Strecken zurückgelegt, mitunter segeln die Tiere aber auch nur einige Meter weit. Das lässt sich beispielsweise bei Möwen beobachten, die im Wind segeln.
Der Gleitflug oder Segelflug ist äußerst energiesparend, weil sich die Tiere hierbei mit Hilfe des Windes oder der Thermik fortbewegen können. Sie müssen nur selten in den kräftezehrenden Ruderflug übergehen, bei dem sie sich mittels kräftiger Flügelschläge durch die Luft bewegen. Bekannte Vertreter der Gruppe von Vögeln, die sich auf den energiesparenden Gleitflug über lange Distanzen spezialisiert haben, sind beispielsweise die Albatrosse. Diese Giganten der Lüfte weisen je nach Art enorme Flügelspannweiten auf, der Wanderalbatros (Diomedea exulans) hat eine Spannweite von bis zu 3,24 m. Neben ihm kommen noch einige weitere Albatros-Arten vor, deren Gefiederfärbung und Größe sich von derjenigen des Wanderalbatrosses unterscheidet, wobei der Körperbau an sich aber sehr ähnlich ist. Er stellt eine Anpassung an die Lebensweise und den Flugstil dieser Vögel dar.
Über den südlichen Polarmeeren, wo der Lebensraum einiger Albatrossarten liegt, wehen ständig mehr oder minder starke Winde, die vielerorts gleichmäßig in eine Richtung blasen. Unmittelbar über dem Wasser bilden sich häufig kleine Wirbel und leichte Aufwinde, da die Dünung der Ozeane die Winde bricht und verwirbelt. Albatrosse nutzen diese oft nur minimalen Aufwinde, die durch die Kräuselung der Meeresoberfläche entstehen, indem sie sich dicht oberhalb der Wasseroberfläche aufhalten und dort mit ausgebreiteten Schwingen segeln. Auch andere Vogelarten wie beispielsweise Sturmschwalben, die sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel vorkommen, wissen diese Aufwinde unmittelbar über dem Meer für sich zu nutzen.
Aufgrund ihrer bestens an die Umwelt und den Flugstil angepassten Flügel reichen Vögeln wie den Albatrossen und den Sturmschwalben vergleichsweise geringe Windstärken aus, um sehr weite Strecken – im Fall der Albatrosse mehrere hundert Kilometer – ohne einen einzigen Flügelschlag über dem Meer zurücklegen zu können.
Ihre langen, schlanken Flügel sind mit den Tragflächen eines Segelflugzeugs vergleichbar. Im Unterschied zu Segelflugzeugen können Albatrosse allerdings den Anstellwinkel, die Wölbung der Flügel sowie die Spannweite den sich permanent ändernden Windbedingungen über dem Meer anpassen. Das macht sie zu perfekten Segelfliegern.
Weniger elegant sehen Albatrosse und andere gefiederte Segler bei Start und Landung aus. Es gelingt ihnen nur unter größtem Kraftaufwand, sich per Ruderflug, also mittels aktiver Flügelschläge in die Luft zu erheben. Lange, schlanke Flügel allein erzeugen nicht genügend Kraft, um einen Senkrechtstart, wie ihn zahlreiche andere Vogelarten beherrschen, zu ermöglichen. Albatrosse müssen beim Starten deshalb gleichzeitig mit den Flügeln schlagen und losrennen, wobei sie sich mit ihren Füßen so stark wie irgend vom Boden oder vom Wasser abstoßen. Entsprechend gelingt ihnen auch nicht immer eine Punktlandung, wenn sie den Luftraum verlassen möchten. Bei der Landung an Land rennen und stolpern sie oft, was zu unsanft anmutenden Bauchlandungen führt. Landungen im Wasser erfolgen meist, indem die Schwimmhäute gespreizt und als Bremsen genutzt werden, bis irgendwann der Oberkörper vornüber ins Wasser kippt. Das folgende Video zeigt Flug, Landung und Start von Wanderalbatrossen: Clip bei Youtube (Video © BBCWorldwide).
Echte Ausnahmetalente in Sachen Gleitflug sind außerdem die einigen Teilen Europas und in Afrika beheimateten Bartgeier (Gypaetus barbatus). Diese 94 bis 125 cm großen Vögel müssen mitunter dermaßen langsam durch die Luft gleiten, um punktgenau neben ihrer Nahrungsquelle landen zu können, dass sich einzelne Federn ihrer Flügeldecken senkrecht aufstellen. Nur wenn der den Vogel tragende Luftstrom über dem Flügel abreißt, richten sich die Federn in dieser Weise auf. Würde dies bei einem weniger virtuosen Flieger geschehen, käme es unweigerlich zum sofortigen Absturz.
Jedem Piloten eines Segelflugzeugs würde angesichts solch niedriger Fluggeschwindigkeiten, die für Bartgeier noch zu meistern sind, und abgerissener Luftströme der Angstschweiß ausbrechen. Kein derzeit bekanntes, vom Menschen gebautes Flugobjekt könnte unter solchen Bedingungen weiter in der Luft bleiben. Bartgeiern hingegen gelingt das Kunststück, bei überdurchschnittlich langsamen Flügen perfekt zu navigieren und nicht abzustürzen – ein echtes Bravourstück im Bereich des artistischen Fluges.
Beeindruckend sind auch die Leistungen vieler großer Greifvögel, zu denen beispielsweise die Geier gehören. Sie sind recht schwer und müssen große Flughöhen erreichen, um die weite Landschaft im Blick zu haben. Nur so können sie eventuelle Nahrungsquellen in den riesigen Gebieten, die sie überfliegen, überhaupt entdecken. Doch wie gelangt ein schwerer Vogel in große Höhen, ohne viel Kraft aufzuwenden? Geiern und einigen anderen Greifvögeln gelingt dies, indem sie die Thermik nutzen. Sie fliegen von ihrem Startpunkt aus in Säulen aus warmer, aufsteigender Luft und lassen sich mit ausgebreiteten Schwingen davon spiralförmig emportragen. Solche Aufwinde gibt es sowohl über der sich erhitzenden offenen Landschaft als auch an Felswänden, wo viele Geierarten nisten oder die Nacht verbringen.
Wer den Flug der Geier einmal genauer beobachten möchte, kann beispielsweise in einigen Balkanländern sowie im Mittelmeerraum nach Gänsegeiern (Gyps fulvus) Ausschau halten. Sie kommen unter anderem in Spanien, Kroatien und Bulgarien vor. Wenn diese großen Vögel dahingleiten, wird oft ein Detail an ihren Flügeln sichtbar, das für gefiederte Segelflieger typisch ist. Ihre ausgefransten oder besser gesagt „gefingerten“ Flügelenden sind eine Besonderheit der Segelflieger, die den Vögeln einen enormen Langsamflug ermöglicht. Eine langsame Fortbewegung ist notwendig, da Geier meist in sehr großer Höhe über ihrem Revier patrouillieren und nach Nahrung suchen. Würden sie nicht sehr langsam segeln, würden sie sich binnen weniger Sekunden kilometerweit von einer eventuell gesichteten Beute entfernen und müssten dann unnötig viel Kraft aufwenden, um zu ihr zu gelangen.
Zum Einleiten der Landung strecken Geier ihre Beine aus, um später punktgenau auf dem Boden aufsetzen zu können. Zunächst segelt ein Geier mit ausgestreckten Beinen, manche Arten wie der Bartgeier lassen sich von Thermiken durch Variation der Anstellwinkel ihrer Flügel nach unten tragen, als hingen die Tiere an Fallschirmen. Erst kurz vor dem Aufsetzen auf den Boden beginnen sie mit den Flügeln zu schlagen, um so den kontrollierten Fall abzubremsen.
Andere Vogelarten, die den Segelflug in Perfektion beherrschen, sind zum Beispiel Milane, Bussarde und Störche.
Erkunden Sie weitere Flugstile der Vögel im Übersichtskapitel Wunderwerk Vogelflug.