Systematik der Vögel
Beitrag von Gaby Schulemann-Maier, Team Wildvogelhilfe
Um den Überblick über die mehr als 10.000 auf der Erde vorkommenden Vogelarten zu bewahren, wurden die Vögel – genau wie alle anderen Tierklassen übrigens auch – von Biologen in bestimmte Gruppen unterteilt. Diese Systematik mag auf den ersten Blick komplex wirken, doch sie ist sehr hilfreich, um die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der Klasse der Vögel zu erfassen und zu verstehen. Weil ständig neue Erkenntnisse über etliche Vogelarten gewonnen werden, ist das System nicht starr, sondern ständig in Bewegung. Immer wieder werden Arten neu eingeordnet und sogar umbenannt. Doch wie läuft das eigentlich mit der Namensgebung?
Früher wurden die Vögel zunächst in Europa mit Namen versehen. Ihre Verwandtschaftsverhältnisse untereinander spielten anfangs keine allzu große Rolle, denn die Wissenschaftler hatten noch nicht damit begonnen, fremde Kontinente zu bereisen. Große Forschungsreisende wie beispielsweise John Gould gehörten zu den Menschen, die in fremden Ländern auf die Pirsch nach neuen Arten gingen, die es daraufhin im Gesamtkontext verwandtschaftlich einzuordnen galt. Das vom schwedischen Naturforscher Carl von Linné (1707-1778) eingeführte System zur Klassifizierung der Tierarten erwies sich in diesem Zusammenhang als äußerst nützlich zur Erfassung der in aller Welt vorkommenden Vogelspezies.
Allerdings unterliegt die Systematik der Vögel – wie alle anderen wissenschaftlichen Systematiken auch – wie bereits erwähnt durch ständig neu hinzu gewonnene Erkenntnisse immer wieder Veränderungen. So kam es zum Beispiel vor, dass die Zuordnung bestimmter Vogelarten zu Untergruppen innerhalb der Systematik aufgrund der Entdeckung neuer Spezies geändert wird. Oder aber genetische Untersuchungsmethoden widerlegen bislang vermutete Verwandtschaftsverhältnisse, sodass eine Umsortierung erforderlich ist.
Um die vielen verschiedenen Tiere dieser Welt ganz grob zu sortieren, die zur Klasse der Vögel gehören, bedient man sich mehrerer verschiedener hierarchischer Ebenen. Die gröbste Unterteilungsform ist die Unterklasse. Die Unterklasse wird gefolgt von der sogenannten Ordnung. Die Ordnungsnamen enden immer auf „-formes“. Innerhalb einer Ordnung existiert eine weitere zusammenfassende Einheit namens Familie, die Namen der Familien enden jeweils auf „-idae“. Innerhalb dieser Familien ist die nächste Unterteilung die Gattung. Vögel, die derselben Gattung angehören, sind sehr eng miteinander verwandt, es handelt sich um einander sehr ähnliche Arten oder Spezies, was die nächste Unterteilung darstellt. Lebt eine Spezies in einem großen Verbreitungsgebiet oder befinden sich in ihrem Verbreitungsgebiet natürliche Barrieren wie Gebirge, spaltet sich die Art in sogenannte Unterarten oder Subspezies auf.
Eine Art wird mit Hilfe des wissenschaftlichen Namens unverwechselbar benannt. Der wissenschaftliche Name besteht aus zwei Teilen, wobei der vordere die Gattung angibt und der hintere die Art genau spezifiziert, also zum Beispiel Turdus merula für die Amsel. Hat man es mit einem dreiteiligen Namen zu tun, also beispielsweise Turdus merula azorensis, kennzeichnet der dritte Namensbestandteil die Unterart.
Übrigens haben nicht alle Vogelarten einen deutschen Namen. Manche Arten, die in fernen Teilen der Welt in jüngster Zeit entdeckt wurden, tragen ihren wissenschaftlichen Namen und eventuell einen englischen Namen. Weil in den meisten fernen Teilen der Welt kein Deutsch gesprochen wird, haben diese Vögel erst einmal keine offiziellen deutschen Namen. Bei den Insekten ist es übrigens noch üblicher, keinen deutschen Namen zu haben. Viele der bei uns in Mitteleuropa heimischen Spezies haben nur wissenschaftliche Namen.
Aufgrund einer international gültigen Konvention werden die wissenschaftlichen Namen der Arten nach Möglichkeit immer kursiv geschrieben. Der erste Namensbestandteil, also der Gattungsname, wird im Deutschen am Anfang immer groß geschrieben, der zweite Namensbestandteil der Art wird klein geschrieben. Dasselbe gilt für weitere Namensbestandteile bei Unterarten.
Beispiele für in jüngster Zeit umbenannte und in der Systematik neu eingeordnete Arten
Noch in den 1990er Jahren hieß die Blaumeise wissenschaftlich Parus caeruleus. Sie wurde als nahe Verwandte der Kohlmeise (Parus major) angesehen. Vergleicht man die beiden wissenschaftlichen Namen, fällt sofort auf, dass sie derselben Gattung, nämlich Parus, zugeordnet worden sind. Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die Blaumeise doch nicht so nah mit der Kohlmeise und einigen anderen Meisenarten verwandt ist, weshalb man einen neuen Gattungsnamen für die kleinen Meisen mit dem blauen Scheitel eingeführt hat: Cyanistes. Die Blaumeise heißt deshalb heute mit vollem wissenschaftlichem Namen Cyanistes caeruleus. Ähnlich verhält es sich mit der Tannenmeise, die früher Parus ater genannt wurde und als enge Verwandte der Kohl- und Blaumeise galt. Seit einigen Jahren wird sie jedoch einer neu eingeführten Gattung zugeordnet und heißt jetzt Periparus ater.
Nicht nur bei den Singvögeln gibt es solche Änderungen der taxonomischen Zuordnung. Etwa um das Jahr 2005 hat es unter anderem die Lachmöwe getroffen, die bis dahin wissenschaftlich Larus ridibundus hieß und als nahe Verwandte der Silbermöwe (Larus argentatus) sowie anderer Arten angesehen wurde. Schließlich wurde die Lachmöwe aber einer neu benannten Gattung zugewiesen, der neben ihr elf weitere Arten angehören. Heute heißt die Lachmöwe wissenschaftlich Chroicocephalus ridibundus.