Formationsflug

Beitrag von Gaby Schulemann-Maier, Team Wildvogelhilfe

Braunpelikan (Pelecanus occidentalis), © barloventomagico via Flickr
Braunpelikan (elecanus occidentalis), © barloventomagico via Flickr

In Mitteleuropa ist zweimal im Jahr das Phänomen des Vogelzugs zu beobachten. Im späten Sommer und Herbst ziehen beispielsweise Millionen großer und kleiner Vögel in südliche Gefilde. Aus dem hohen Norden treffen außerdem einige Vogelarten bei uns ein, die in Mitteleuropa überwintern. Zu ihnen gehören unter anderem die Wildgänse. Diese Vögel sowie die Kraniche sind dafür berühmt, in V- oder 1-Formationen am Himmel zu fliegen. Weshalb diese Vögel in genau dieser räumlichen Anordnung reisen, haben Wissenschaftler vor nicht allzu langer Zeit herausgefunden, indem sie in Afrika den ebenfalls in solchen Formationen reisenden Pelikanen genauer auf die Flügel geschaut haben.

Henri Weimerskirch, ein französischer Vogelforscher, der im Nationalen Forschungszentrum in Villiers en Bois arbeitet, brachte in Afrika einigen Pelikanen bei, gleichförmig und ohne Angst direkt neben einem Kleinflugzeug zu fliegen. Vor dem Flug schnallten Weimerskirch und sein Team den Vögeln Messgeräte um, die die Herzfrequenz aufzeichneten und somit Rückschlüsse auf den Energieverbrauch während des Fluges erlaubten. So gelang es den Wissenschaftlern, Messwerte von einzeln fliegenden Pelikanen sowie von solchen Pelikanen zu sammeln, die innerhalb einer V-Formation flogen, und das an unterschiedlichen Stellen. Die Auswertung der Messdaten brachten es an den Tag: Flugreisen innerhalb einer V-Formation sind für die recht schweren und vor allem großen Pelikane kraftsparender als Alleinflüge oder Flüge in ungeordneten Formationen.

Rosapelikan (Pelecanus onocrotalus), © Sergey Yeliseev via Flickr
Rosapelikan (Pelecanus onocrotalus), © Sergey Yeliseev via Flickr

Die Ursache für dieses Phänomen ist in der Aerodynamik der Vögel und ihrer Flügel sowie in der Physik zu suchen. Der Vogel an der Spitze der Formation ist dem stärksten Reibungswiderstand der Luft ausgesetzt, für ihn herrschen zudem in aller Regel die ungünstigsten Strömungsbedingungen. Er muss beim Flug besonders viel Kraft aufwenden und praktisch die gesamte Zeit im Ruderflug reisen, was bedeutet, er schlägt in vielen Fällen nahezu ständig mit den Flügeln. Dabei verursachen seine Schwingen Verwirbelungen in der Luft, auf denen die dahinter fliegenden Vögel streckenweise gleiten können, wodurch sie enorm viel Kraft sparen. Am besten sind leicht nach links oder rechts versetzte Flugpositionen, weil die Verwirbelungen hinter den Schwingen der Vögel in die Breite gehen. Auf diese Weise ergibt sich die V-Formation von ganz allein.

Wer eine solche Flugformation von Zugvögeln über einen längeren Zeitraum beobachtet, wird feststellen, dass sich der Leitvogel nach einer gewissen Zeit ans Ende der Formation oder an eine mittlere Position zurückfallen lässt, um dort energiesparend fliegen zu können. Ein anderer Vogel, der bis zu diesem Zeitpunkt im übertragenen Sinne auf der „Bugwelle“ des vorherigen Leitvogels geflogen ist, übernimmt die Führungsposition, bis auch er zu stark erschöpft ist und sich wie sein Vorgänger innerhalb der Formation zurückfallen lässt. Der Reihe nach rücken die Vögel auf beziehungsweise lassen sich zurückfallen, sodass jeder vorübergehend als Leitvogel die Formation anführt.


In Formationen reisende Vögel unterscheiden

Blässgans (Anser albifrons), © sébastien bertru via Flickr
Blässgans (Anser albifrons), © sébastien bertru via Flickr

In Mitteleuropa gibt es verschiedene Vogelarten, die in V-Formationen reisen und nicht immer hat man es mit Wildgänsen oder Kranichen zu tun. Anhand der Statur, der Lautäußerungen und der Art, wie die Vögel ihre Flügel bewegen, kann man jedoch meist recht leicht zumindest die Vogelfamilie eingrenzen. Schlagen die Tiere häufig mit den Flügeln und reisen sie somit überwiegend im Ruderflug, handelt es sich bei den beobachteten Zugvögeln sehr wahrscheinlich um Wildgänse. Sie sind recht schwer und ihnen reichen die Verwirbelungen der Luft durch die „Vordermänner“ deshalb nicht, um sich zumindest streckenweise gleitend fortzubewegen. Allerdings fällt ihnen der Ruderflug innerhalb der Verwirbelungen leichter, als wenn sie allein reisen würden, weshalb sie den Formationsflug vorziehen. Gänse schnattern beim Fliegen mitunter, aber nicht immer. Gänse sind außerem an ihrem langgestreckten Hals zu erkennen. Die Füße ragen nicht über den Schwanz hinaus.

Kormoran (Phalacrocorax carbo), © Charles Lam via Flickr
Kormoran (Phalacrocorax carbo), © Charles Lam via Flickr

Ebenfalls im Ruderflug und oft in V-Formation reisen Kormorane (Phalacrocorax carbo). Ihre Körpersilhouette ähnelt derjenigen der Gänse, aber bei ihnen wirken die Flügel etwas schmaler und sie sehen ein wenig wie fliegende Kreuze aus. Anders als Gänse sind Kormorane während des Flugs grundsätzlich still. Betrachtet man die reisende Formation mit einem Fernglas, fällt sogleich die schwarze Gefiederfärbung der Kormorane auf, Gänse sind am Bauch hingegen je nach Art grau, braun oder weiß gefärbt.

In Formationen reisende Kraniche (Grus grus) schlagen anders als Gänse oder Kormorane nur gelegentlich mit den Flügeln und legen möglichst weite Strecken im kraftsparenden Gleitflug zurück, bei dem sie ihre Schwingen nicht bewegen. Daran lassen sie sich auch hoch am Himmel von einer Gänseschar unterscheiden. Ferner haben Kraniche längere Hälse und Beine als Kormorane und Gänse, was aber je nach Flughöhe mit dem bloßen Auge nicht unbedingt zu erkennen ist. Fliegen sie hingegen nicht allzu hoch, kann man die langen, schlanken Beine weit nach hinten ragen sehen. Noch etwas ist für Kraniche typisch: Sie sind sehr ruffreudig und tragen ständig ihre trompetenden Lautäußerungen vor.

Eine ähnliche Flugsilhouette wie Kraniche mit ebenso weit nach hinten ragenden Beinen haben Weißstörche (Ciconia ciconia). Allerdings ziehen Weißstörche meist nicht in einer V-Formation, sondern reisen entweder einzeln oder in losen Verbänden. Dank ihrer sehr breiten Flügel können sie unter guten atmosphärischen Bedingungen zwischen Ruderflug-Passagen auch einen Teil ihrer Reiseroute im Gleitflug zurücklegen.

Erkunden Sie weitere Flugstile der Vögel im Übersichtskapitel Wunderwerk Vogelflug.