Ganzjahresfütterung

Fette Beute für den Nachwuchs: Haussperling mit Langfühlerschrecke, © Michael Sveikutis via Flickr
Fette Beute für den Nachwuchs: Haussperling mit Langfühlerschrecke, © Michael Sveikutis via Flickr

Vor geraumer Zeit ist die Debatte um die Vogelfütterung neu entbrannt, weil einige namhafte Forscher, darunter Professor Peter Berthold, der ehemalige Direktor der Vogelwarte Radolfzell, und seine Frau Gabriele Mohr eine ganzjährige Vogelfütterung empfehlen. Sie beziehen sich bei dieser Empfehlung auf Forschungsergebnisse aus Nachbarländern wie beispielsweise Großbritannien. Aus den entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass eine ganzjährige Vogelfütterung den Tieren ausschließlich nutzt und nicht schadet, sofern die Ganzjahresfütterung artgerecht erfolgt. In Deutschland wurden jüngst ähnliche Untersuchungen durchgeführt, die diesen Sachverhalt klären sollten und an denen neben Vogelkundlern (Ornithologen) auch Tiermediziner beteiligt waren.

Die von den Befürwortern der Ganzjahresfütterung herangezogenen Argumente sind in sich schlüssig, obgleich sie sicherlich nicht für alle Regionen Deutschlands gleichermaßen hundertprozentig zutreffend sind. So ist beispielsweise die Rede davon, dass das natürliche Nahrungsangebot für die Wildvögel durch das Eingreifen des Menschen in den vergangenen Jahrzehnten immer geringer geworden ist. In Ballungszentren ist dies ohne jeden Zweifel der Fall, weil dort Sträucher, Hecken und kleine Wälder in großem Stil vernichtet wurden, um weitere Flächen bebauen zu können. Hinzu kommt, dass in den meisten Gärten die natürliche Flora vom Menschen durch exotische Zierpflanzen ersetzt wurde. Einheimische Wildblumen und -kräuter, die Vögel ernähren könnten, werden als Unkraut bezeichnet und akribisch aus dem „perfekten“ Rasen und dem bunten Blumenbeet entfernt.

Der weit verbreitete Rapsanbau gefährdet die Artenvielfalt der Wildpflanzen, © Gaby Schulemann-Maier
Der weit verbreitete Rapsanbau gefährdet die Artenvielfalt der Wildpflanzen, © Gaby Schulemann-Maier

Doch wer nun glaubt, in ländlichen Regionen würde sich die Lage für die Vögel besser darstellen, der irrt. Es ist keineswegs so, dass überall paradiesische Zustände herrschen. Aufgrund der intensiven Landwirtschaft sind viele Wildpflanzen verschwunden, die einst den Vögeln und vielen Insekten als Nahrung gedient haben. Weniger Insekten bedeuten wiederum noch weniger Nahrung für die Vögel, die somit unter dem Verschwinden der Pflanzen infolge menschlicher Eingriffe massiv leiden – auch und vor allem auf dem keineswegs mehr überall idyllischen Land! Fakt ist: Wo früher an Feldrändern Platz für Wildpflanzen wie Disteln und dergleichen war, gedeiht heute kaum noch ein solches Gewächs, weil Herbizide zum Einsatz kommen, um die Monokulturen nicht zu „gefährden“, indem andere Pflanzen zwischen dem wuchern, was der Mensch angepflanzt hat. Der Klimawandel, den der Mensch zumindest teilweise, wenn nicht sogar fast vollständig hervorgerufen hat, trägt ebenfalls zum Rückgang vieler Nahrungsquellen unserer heimischen Wildvögel bei.

Aufgrund der starken Veränderungen der Natur finden die Vögel demnach nicht nur im Winter wenig Nahrung. Dies gilt vielerorts auch in der warmen Jahreszeit, argumentieren die Befürworter der Ganzjahresfütterung. Um in diesen Arealen einem größeren Vogelbestand ein Auskommen zu sichern, solle demnach nicht nur im Winter, sondern auch im Frühling, Sommer und Herbst Futter gereicht werden – allerdings unbedingt artgerechte und saisongerechte Nahrung, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Vögel während der einzelnen Jahreszeiten zugeschnitten ist. So sollten beispielsweise vor allem während der Brutperiode hochwertige Futtermittel gereicht werden, weil dies die gerade flügge werdenden Jungtiere ebenso wie die Altvögel optimal unterstützt.

Trotzdem sind viele Menschen verunsichert, weil die Gegner der Ganzjahresfütterung nach wie vor behaupten, den Jungtieren würde durch dieses Praxis Schaden entstehen. Aber beispielsweise in Großbritannien konnte dies in umfangreicher Feldversuchen nicht bestätigt werden. Um den Sachverhalt besser nachvollziehen zu können, betrachten wir in einem Gedankenexperiment zwei durchschnittliche Vogelpaare, die Jungtiere großziehen.

So viele hungrige Schnäbel zu stopfen, ist für viele Vogeleltern oft sehr schwierig, © TaniaVdB / Pixabay
So viele hungrige Schnäbel zu stopfen, ist für viele Vogeleltern oft sehr schwierig, © TaniaVdB / Pixabay

Innerhalb des Reviers von Paar A findet sich nicht viel Nahrung und zudem keine vom Menschen eingerichtete Futterstelle. Die Altvögel müssen während der Jungenaufzucht ihren Nachwuchs mit Nahrung versorgen, indem sie weite Strecken zurücklegen, um diese aufzuspüren. Diese weiten Suchflüge kosten Kraft, sodass auch der Grundverbrauch der Altvögel gesteigert ist. Für sich selbst müssen sie also ebenfalls mehr Nahrung finden, was für Vogelpaar A kaum möglich ist. Ihre Jungen erhalten nicht die optimale Nahrungsmenge und starten mit leichten Defiziten ins Leben, wenn sie nicht schon vorher verhungert sind. Die Altvögel sind von der kräftezehrenden Jungenaufzucht ausgelaugt, sie sind dünn und untergewichtig. Spätestens im nächsten Winter könnten sie sterben – ebenso wie ihr Nachwuchs, denn selbst während eines „fetten Sommers“ können die Vögel unter Umständen die Defizite nicht wieder auffüllen, die während der Wachstumsphase entstanden sind. Zumal sowohl die Altvögel als auch die Jungvögel im Verlauf des Sommers oft mausern, was ihnen zusätzliche Kraftreserven entzieht.

Ein junger Star fordert sein Futter ein, © Gellinger / Pixabay
Ein junger Star fordert sein Futter ein, © Gellinger / Pixabay

Ganz anders stellt sich die Lage für das Vogelpaar B dar. Es lebt in einem Revier, in dem es zwar genau wie Vogelpaar A nicht ausreichend natürliche Nahrung findet, dafür aber ganzjährigen Zugang zu einem vom Menschen eingerichteten, verlässlich betriebenen Futterplatz hat. Die Vogeleltern werden die Umgebung gründlich absuchen und natürliche Nahrung sammeln, die sie an ihren Nachwuchs verfüttern. Um selbst satt zu werden, müsse sie jedoch keine weiten Strecken fliegen, weil die Futterstelle in der Nähe ist. Das heißt, die Fütterung durch den Menschen bringt ihnen leicht verfügbare Energie, was obendrein Zeit spart – Zeit, die sie in die Nahrungssuche für ihren Nachwuchs investieren können, ohne selbst an einer Mangelernährung zu leiden. Hinzu kommt, dass in einer solchen Situation die Nestlingssterblichkeit oft verringert ist, weil der Nachwuchs nicht hungern muss. Sowohl die Altvögel als auch die Jungtiere starten mit besten Voraussetzungen in den nächsten Winter, weil sie sich optimal ernähren konnten. Die Ganzjahresfütterung bringt somit sowohl den Altvögeln als auch den Jungtieren einen großen Vorteil.

Wie anstrengend die Jungenaufzucht ist, sieht man diesem Rotkehlchen an, das sich sicher über den Mehlwurm sehr gefreut hat, © Terry Hughes via Flickr
Wie anstrengend die Jungenaufzucht ist, sieht man diesem Rotkehlchen an, das sich sicher über den Mehlwurm sehr gefreut hat, © Terry Hughes via Flickr

Die Beobachtungen der Wissenschaftler haben ferner ergeben, dass die Altvögel nur dann vom Menschen gereichtes Futter an ihre Nachkommen verfüttern, wenn sie selbst überhaupt keine natürliche Nahrung finden. Damit beispielsweise Meisen ihren Nachwuchs nicht mit Erdnussbruch füttern, was für die Jungvögel fatale Folgen haben könnte, kann der Mensch während der Jungenaufzuchtsphase in einem Gebiet, das extrem arm an natürlicher Nahrung ist, das Futter anpassen. Am besten legt man dann am Futterplatz kleinkörnige Vogelnahrung aus und stellt zusätzlich lebende Futterinsekten, zum Beispiel Buffalos oder kleine Mehlwürmer, bereit, falls die Altvögel tatsächlich nicht in der Lage dazu sein sollten, arttypisches natürliches Futter zu finden. Auch so mancher erschöpfter Altvogel wird sich dann sicher gern an den Futterinsekten bedienen. Beispielsweise nehmen Rotkehlchen-Eltern, die zu den Insektenfressern gehören, Futterinsekten oft während der strapaziösen Jungenaufzucht sehr gern als leicht verfügbare Nahrung für sich selbst an.

Ferner ist es wichtig, das Futter immer rechtzeitig auszulegen, also im Idealfall so, dass die Frühaufsteher unter den Vögeln bereits Nahrung vorfinden, während der Vogelfreund ein wenig ausschlafen möchte. Man bedenke, dass es im Sommer schon um fünf Uhr morgens hell wird! Deshalb ist es sinnvoll, dann schon am späten Abend das Futter noch einmal aufzufüllen (Achtung, den Futterplatz vor Kleinsäugern schützen!), damit frühmorgens genügend Nahrung für die hungrigen Vögel vorhanden ist. Denken Sie auch daran, dass die Vögel während Ihres Sommerurlaubs kontinuierlich mit Nahrung versorgt werden müssen! Ein Helfer muss also organisiert werden, der die Tiere während Ihrer Abwesenheit füttert und den Ganzjahres-Futterplatz zuverlässig sauber hält.

 

Achtung: In Zeiten der Vogelgrippe fragen sich viele Menschen, ob es eventuell gefährlich ist, einen Vogelfutterplatz zu betreiben. Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) hat hierzu im November 2016 eine Stellungnahme veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Fütterung unproblematisch ist: Vogelgrippe und Winterfütterung: Keine Panik! – Die Vogelgrippe ist nicht gefährlich für Gartenvögel