Was sind Stadttauben?

Beitrag von Anke Dornbach, Team Wildvogelhilfe

Sich sonnende Taube, © Gaby Schulemann-Maier
Sich sonnende Taube, © Gaby Schulemann-Maier

Die Stammform aller gezüchteten Haustauben ist die Felsentaube Columba livia. Diese Vögel lebten ursprünglich in Gegenden mit vielen Felsen, wo es ausreichende Nischen und größere und kleinere Höhlen zum Ruhen und Brüten gibt. Diesem Lebensraum kommen unsere Städte mit ihren steinernen, hohen Gebäuden und Brücken sehr nah. Daher sind in allen größeren Städten Taubenschwärme ein gewohnter Anblick – wegen des Lebensraums werden die Tiere als Stadttauben bezeichnet.

Stadttauben sind jedoch keineswegs von der Natur in die Städte eingewanderte Felsentauben, sondern entflogene Haus- oder Rassetauben und ausgebliebene Brieftauben sowie deren Nachkommen. Die verschiedenen Färbungen bei den Stadttauben sowie das veränderte, meist ganzjährige Brutverhalten zeigen deutlich, dass es sich um aus der Zucht stammende (domestizierte) Tiere handelt, die wieder verwildert sind und einige ihrer charakteristischen Haustier-Eigenschaften beibehalten haben.

Das Problem Stadttauben ist demnach vom Menschen verursacht, da es sich bei den Stadttauben tatsächlich um „verstädterte“, im strengen Sinne auch ausgesetzte Haustiere handelt. Um es ganz klar zu sagen: Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung sind Stadttauben also keine Wild-, sondern Haustiere, die den Anforderungen der freien Wildbahn im natürlichen Lebensraum ihrer Felsentauben-Vorfahren nicht mehr in vollem Umfang gewachsen wären.


Brieftauben und deren Einfluss auf die Stadttaubenpopulation

Prächtige Brieftaube auf einem Dach, © Aysin Matthiesen
Prächtige Brieftaube auf einem Dach, © Aysin Matthiesen

Immer wieder landen verirrte und erschöpfte Brieftauben irgendwo entlang der Flugstrecke, die sie in den heimischen Schlag führen soll, an ihnen unbekannten Orten. Häufig sind dies Städte, und nachdem sie dort auch auf Artgenossen treffen, schließen sie sich diesen der Not gehorchend an. Nicht selten finden Passanten bis auf die Knochen abgemagerte, beringte Tauben. Mit ein wenig Glück können diese von tierlieben Menschen aufgepäppelt werden. Viele von ihnen werden jedoch nicht gefunden und sterben einen einsamen Tod, weit entfernt von ihrem heimatlichen Schlag, ihren Partnern und ihrem Nachwuchs.

Manchmal bekommt der Finder einer erschöpften Brieftaube eine negative Antwort, wenn er den Züchter anruft (die Telefonnummer ist auf dem Ring meistens zu lesen). Für den Züchter hat die Taube oftmals ihren „Wert“ verloren, denn sie hat nicht nach Hause gefunden. Wer eine erschöpfte Brieftaube findet und aufpäppelt und der angerufene Züchter sie nicht zurück haben möchte, sollte sich daher um einen geeigneten Platz für die Taube kümmern. Tiere, die zwar irgendwann zurückkehren, aber nicht die erwarteten Leistungen erbracht haben, werden entweder gar nicht mehr angenommen oder häufig sogar getötet. Der Brieftaubenzüchter nennt dies „Selektion“.

Gedanken einer Brieftaube, © Janina Lummertzheim
Gedanken einer Brieftaube, © Janina Lummertzheim

Allein in Deutschland gibt es circa 64.000 Brieftaubenzüchter in ca. 8.000 Brieftaubenzuchtvereinen (Stand: April 2016, siehe Link). Die den Tieren abverlangten Wettflüge (Strecken von bis zu 1.000 Kilometer mit einer mittleren Fluggeschwindigkeit von 80 km/h) übersteigen oft die Kräfte der Vögel. Die „Verlustquote“ bei Wettflügen ist hoch, oft durch schlechte Wetterbedingungen oder fehlende Futterquellen auf der Strecke. Besonders groß ist der „Ausschuss“ bei den noch unerfahrenen Jungtauben. Nach Auskunft von Brieftaubenzüchtern ist unter zehn jungen Tauben oft nur eine „gute“ Brieftaube. Das heißt, Hunderttausende von Tauben sterben jährlich aufgrund solcher Veranstaltungen oder stranden unter anderem in unseren Städten und verbleiben dort.

Brieftauben sind an ihren Fußringen zu erkennen, © philip hay via Flickr
Brieftauben sind an ihren Fußringen zu erkennen, © philip hay via Flickr

Die Hochleistungen werden durch „psychische Motivation“ erzwungen. Grundlage ist die Tatsache, dass Tauben treue Partner sind und besonders fürsorgliche Eltern. So werden entweder nach der sogenannten „Witwenschaft“ Taubenpaare voneinander oder Eltern von ihren Nestlingen nach der „Nestmethode“ getrennt. Die Tiere mobilisieren nun ihre ganzen Kräfte, um vom weit entfernten Auflassort in den Schlag und zu ihrem Partner beziehungsweise zu den Taubenkindern zurückzukehren.

Die Landesanstalt für Umweltschutz des Landes Baden-Württemberg erklärte 1995: „Den stärksten Anteil am Zuflug unserer Stadttaubenschwärme haben heute verirrte und erschöpfte Brieftauben. Dies ist alleine schon in der großen Zahl, aber auch der Streuung der verflogenen Tiere begründet.“ Brieftauben leisten demzufolge einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Stadttaubenpopulation und hier sollten die Brieftauben“sportler“ mit zur Verantwortung gezogen werden.


Hochzeitstauben

Manche Hochzeitstauben verirren sich und schließen sich den Stadttauben an, © Tom G via Flickr
Manche Hochzeitstauben verirren sich und schließen sich den Stadttauben an, © Tom G via Flickr

Auch sogenannte Hochzeitstauben leisten ihren Beitrag zur Population der Stadttauben. Die weiße Taube steht als Symbol für Liebe und Treue. Bei vielen Hochzeiten gilt daher das Auflassen weißer Tauben als besondere Attraktion. Leider wissen die wenigsten Brautpaare und Gäste, mit welchem Leid und Stress für die betroffenen Tauben dieser Brauch verbunden ist. Ähnlich wie im Falle der Brieftauben hoffen die Züchter von Hochzeitstauben, dass die bei der Hochzeitsfeier freigelassenen weißen Vögel wieder zum heimischen Schlag zurückkehren, um dann erneut für nicht wenig Geld für die nächste Hochzeit verliehen zu werden. Doch viele Hochzeitstauben verlieren die Orientierung und irren später an ihnen unbekannten Orten umher, werden Opfer von Beutegreifern oder verhungern schlichtweg. Der Not folgend schließen sie sich oftmals auch den Stadttaubenschwärmen an.

Nicht selten werden frei gelassene Hochzeitstauben durch ihre auffallende weiße Farbe und ihre Desorientierung zur leichten Beute von Greifvögeln. Wenn sie den Angriff überleben, tragen sie dabei meist tiefe, lebensbedrohliche Verletzungen davon. Wenn sie Glück haben, werden sie in diesem Zustand gefunden und landen in den Händen einer Pflegestelle.
Völlig geschwächt und hungrig lassen sie sich oftmals problemlos greifen und einsammeln, wie die fünf Tauben im Karton in der folgenden Bildergalerie.

Im folgenden Kapitel erfahren Sie mehr über Kommunen und das Taubenproblem.