Der Weg zur Selbstständigkeit bei Nesthockern

Dieses Kapitel und die ihm untergeordneten Texte zu einzelnen Vogelgruppen beziehen sich auf sogenannte Nesthocker, also junge Vögel, die bis zum Erreichen der Selbstständigkeit im Nest bleiben. Für die Nestflüchter unter den Vögeln gelten andere Regeln. Lesen Sie dazu bitte unser entsprechendes Kapitel.

Junge Spatzenästlinge erkunden die Welt, © Michael Schleicher

In der Natur entwickeln sich die meisten Jungvögel langsam von hilflosen nackten Geschöpfen zu agilen jungen Vertretern ihrer Art, die bereit sind, sich den Anforderungen des Vogelalltags in freier Natur zu stellen. Diese Entwicklung verläuft nicht sprunghaft, sondern kontinuierlich – je nach Vogelart – innerhalb einiger Tage oder Wochen. Zunächst werden Jungvögel im Nest immer neugieriger, beäugen die Umgebung, trainieren ihre Flugmuskulatur und starten irgendwann ins Leben, indem sie der Kinderstube den Rücken kehren.

Junger, flügge gewordener Neuntöter mit Beute, © Rolf Sternberg
Junger, flügge gewordener Neuntöter mit Beute, © Rolf Sternberg

Nach dem Verlassen des Nestes erkundet ein Jungvogel in der Natur unter Aufsicht der Alttiere seine Umgebung. Das Gebiet, das er durchstreift, wird hierbei zusehends größer. Er entwickelt und trainiert verschiedene Verhaltensweisen wie beispielsweise den Beutefang, Feinderkennung und Fluchtverhalten. Hierbei steht der Jungvogel normalerweise weiterhin mit seinen Eltern und Geschwistern in Kontakt und wird von diesen mit Nahrung versorgt. Man nennt diese Zeit im Leben des jungen Tieres die Bettelflugperiode oder auch Ästlingsphase, siehe auch unsere Beschreibung von Ästlingen.

Der gerade ausgeflogene junge Neuntöter auf der Abbildung hat sein Ziel erreicht: er hat selbstständig eine Grille erbeutet und hat nun die besten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Leben in Freiheit.


Einen jungen Wildvogel aufzuziehen beutet nicht nur, ihn richtig zu ernähren, sondern auch, ihn bestmöglich auf sein späteres Leben in Freiheit vorzubereiten.
Für Sie als Zieheltern ist es wichtig, zu wissen, was Ihr Findelkind in der Natur können und wissen muss. Dazu gehört das Kennen des arttypischen Futters, zum Beispiel von Futterpflanzen bei Vegetariern und des Erlernen des Beutefangs bei Insektenfressern.
Es ist deswegen unerlässlich, in die Natur hinaus zu gehen und Wildkräuter zu sammeln für Vertreter der Körnerfresser und Vegetarier. Insektenfresser benötigen Lebendfutter, um das Erbeuten lebender Insekten zu trainieren. Junge Wasservögel müssen wissen, dass man Teichlinsen und kleine Bachflohkrebse fressen kann usw.

Einen untrainierten und schlecht vorbereiteten Wildvogel in die Natur zu entlassen verringert seine Überlebenschance enorm.


Spezielle Anforderungen verschiedener Vogelarten

Wie Sie beim aufmerksamen Lesen unserer Internetseite bereits festgestellt haben werden, unterscheiden sich die Bedürfnisse der einzelnen Jungvögel je nach Artzugehörigkeit teils sehr stark. In den angegliederten Kapiteln haben wir für Sie detaillierte Informationen darüber zusammengestellt, wie verschiedene Vogelgruppen auf dem Weg zur Selbstständigkeit am besten von Ihnen unterstützt werden können, siehe Liste weiter unten.


Badegelegenheit anbieten

Badende junge Blaumeisen, © Jennifer Jürgens
Badende junge Blaumeisen, © Jennifer Jürgens

Zwar haben die verschiedenen Vogelarten durchaus unterschiedliche Bedürfnisse in Sachen Futter und Unterbringung. Für alle gilt aber gleichermaßen: Eine Badegelegenheit darf nicht fehlen, denn das tägliche Bad ist die Voraussetzung für ein intaktes Gefieder, welches später lebenswichtig sein wird. Anfangs ist das Gefieder junger Vögel noch nicht mit Fett imprägniert, sodass die Tiere beim Baden stark durchnässen. Anschließend wird das Gefieder vom Vogel mit dem Schnabel in Ordnung gebracht und mit Fett imprägniert, das er der Bürzeldrüse entnimmt. Nach jedem Bad und mit jeder Gefiederpflege nähert sich die Stärke dieser Fettschicht dem Normalzustand für einen erwachsenen Vogel an. Nach einigen Tagen sind die Federn also so gut eingefettet, dass sie sich nicht mehr übermäßig mit Wasser voll saugen können. Das Gefieder ist somit optimal auf die Bedingungen in der freien Natur vorbereitet.

Mit so einem durchweichten Gefieder sind Vögel flugunfähig, © Jennifer Jürgens
Mit so einem durchweichten Gefieder sind Vögel flugunfähig, © Jennifer Jürgens

Bietet man einem Jungvogel vor der Auswilderung keine Badegelegenheit an, saugt sich das Gefieder nach dem ersten Bad oder Regen in der Wildnis zwangsläufig mit Wasser voll. Der Vogel ist dann meist zu schwer, um fliegen zu können. So kann ihn sein erstes ausgiebiges Bad oder der erste Regenguss leicht in akute Lebensgefahr bringen, denn ein nasser, vorübergehend flugunfähiger Vogel ist eine leichte Beute für Katzen und andere Fressfeinde. Sie sollten deshalb niemals einen Vogel auswildern (auch keinen Altvogel!), der nach dem Baden nicht dazu in der Lage ist, zu fliegen, weil sein Gefieder zu stark durchnässt ist. Mit einer einfachen Testmethode können Sie herausfinden, ob das Gefieder eines Vogels ausreichend eingefettet ist. Träufeln Sie ein wenig Wasser auf das Gefieder. Perlt es vollständig ab, ohne die Federn zu durchnässen, sind sie in aller Regel ausreichend stark eingefettet.

Werden junge Vögel von ihren Eltern aufgezogen, wird dem Problem des nicht gefetteten Jungvogelgefieders übrigens auf natürliche Weise vorgebeugt: Wenn die Altvögel ihre Jungen hudern, also mit ihrem Gefieder wärmen, überträgt sich das Fett von einem Vogel auf den anderen. Außerdem sorgen Regengüsse dafür, dass das Gefieder junger Vögel in freier Natur meist schon vor dem Verlassen des Nestes erstmals mit Wasser in Berührung kommt, was die jungen Tiere zur anschließenden Gefiederpflege und -imprägnierung animiert. Aber Vorsicht: Die Badegelegenheit sollte möglichst flach sein, damit der Vogel nicht darin ertrinken kann.

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