Nestlinge und Ästlinge unterscheiden

Vom Nestling zum Ästling, © Stefan und Birgitt Sattler
Vom Nestling zum Ästling, © Stefan und Birgitt Sattler

Jungvögel unterschiedlichen Alters tragen nicht nur verschiedene Bezeichnungen, sie haben zudem jeweils ganz individuelle Bedürfnisse. Diese zu kennen, ist für den Menschen wichtig, wenn er helfend eingreifen möchte, sobald sich ein Jungvogel in Not befindet. In diesem Kapitel lernen Sie den Unterschied zwischen sogenannten Nestlingen und Ästlingen kennen, der Ihnen dabei helfen soll, Jungvögel und ihre Anforderungen an die Umwelt zu verstehen.


Nestlinge

Sobald ein Vogel aus dem Ei geschlüpft ist, beginnt für ihn das eigentliche Leben. Je nachdem, welcher Vogelart er angehört, ist er entweder bereits befiedert und kann das Nest nahezu sofort verlassen – man nennt ihn einen Nestflüchter – , oder aber er ist nackt, also unbefiedert und seine Augen sind anfangs geschlossen, er ist dann ein Nesthocker oder Platzhocker (siehe auch unser Kapitel über Nestflüchter, Nesthocker und Platzhocker).

Junges Rotkehlchen, © Verein für kleine Wildtiere in großer Not
Junges Rotkehlchen, © Verein für kleine Wildtiere in großer Not

Als Nestlinge werden gemeinhin Jungvögel aus den Gruppen der Nesthocker und Platzhocker bezeichnet, um sie geht es in diesem Abschnitt. Sie sind im Nest der Eltern sicher aufgehoben und auf deren Fürsorge angewiesen. Sie müssen rund um die Uhr von den Altvögeln betreut werden, die Nahrung herbei schaffen und die Jungtiere warm halten, wenn ihnen noch kein vollständiges Federkleid gewachsen ist.

Nestlinge verhalten sich in den ersten Lebenstagen eher ruhig. Je älter sie werden, desto bewegungsfreudiger sind sie, um beispielsweise ihre Flugmuskulatur zu trainieren. Gelegentlich kommt es vor, dass ein vorwitziger Nestling aus dem Nest fällt. Er benötigt dringend Hilfe, denn er ist allein nicht überlebensfähig und wird außerhalb des Nestes nicht von seinen Eltern gefüttert und gewärmt.

Setzen Sie einen Nestling wieder zurück in sein Nest, damit er weiterhin von seinen Eltern versorgt wird. Prüfen Sie zuvor, ob er unverletzt ist, oder zum Beispiel ein Bein gebrochen ist.
Scheuen Sie sich nicht davor, den jungen Vogel zu berühren, denn entgegen anders lautender Aussagen nehmen die Eltern ihren Nachwuchs auch weiterhin an. Hierbei sollten Sie äußerst vorsichtig und rasch vorgehen, um die Eltern und die anderen Jungvögel im Nest nicht in Panik zu versetzen.

Sollten Sie das Nest nicht finden oder wurde es zerstört (zum Beispiel von einem Fressfeind oder durch ein Unwetter), dann sollten Sie sich des gefundenen Nestlings annehmen und ihn entweder selbst aufziehen oder einer Auffangstation zur weiteren Pflege übergeben.


Ästlinge

Amsel-Ästling wird von seiner Mutter gefüttert, © Jasmin Stieger
Amsel-Ästling wird von seiner Mutter gefüttert, © Jasmin Stieger

Ist ein Nestling alt genug, um außerhalb des Nestes seine Flugfähigkeit und die eigenständige Nahrungsaufnahme zu trainieren, tritt er in eine neue Phase seines Lebens ein: Er wird zum sogenannten Ästling. Zwar können die meisten Ästlinge bereits kurze Strecken fliegen oder stehen kurz davor, ihre Flugkünste zu erlernen. Aber sie sind noch nicht dazu in der Lage, sich vollständig selbst zu ernähren.

Bei manchen Vogelarten verlassen die Jungvögel bereits voll flugfähig das Nest. Dies ist vor allem bei Höhlenbrütern, wie Meisen, Staren oder auch Sperlingen der Fall. Andere Arten, wie zum Beispiel Amseln verlassen das Nest noch bevor sie richtig fliegen können. Sie bewegen sich eher flatternd und hopsend in den ersten Tagen nach dem Verlassen des Nestes fort.

Unter Anleitung ihrer Eltern erkunden sie die Umgebung und werden je nach Vogelart noch einige Tage bis Wochen von ihnen mit Futter versorgt.

Die Zeit zwischen dem Verlassen des Nestes und dem Erlangen gänzlicher Selbstständigkeit ist für junge Wildvögel die gefährlichste Phase ihres Lebens. Zwangsläufig müssen die Elterntiere ihren Nachwuchs über längere Zeiträume allein lassen, um nach Futter zu suchen. Während dessen hüpfen, flattern oder fliegen die Ästlinge mehr oder weniger schutzlos umher. Dabei zeigen sie ihren Eltern durch lautes Rufen an, wo sie sich gerade befinden. Diese Rufe locken allerdings nicht nur die Eltern an, sondern oft auch so manchem hungrigen Fressfeind.

Junge Schwanzmeise, gut versteckt, © Michael Lobmeier
Junge Schwanzmeise, gut versteckt, © Michael Lobmeier

Bei drohender Gefahr flüchten Ästlinge meist nicht, sondern verhalten sich stattdessen ruhig und regungslos. Ihr einziger Schutz ist dann die Tarnung, die ihnen ihr meist recht unauffällig gefärbtes Federkleid bietet. Sind sichere Versteckmöglichkeiten, wie beispielsweise Hecken, Holzstapel oder Reisighaufen vorhanden, bleiben sie meist unentdeckt. Fehlen solche Unterschlupfmöglichkeiten, so werden die Ästlinge schnell zur leichten Beute für Katzen oder andere Fressfeinde.

Leider fallen sie oftmals auch Kindern regelrecht zum Opfer, die diese niedlich anzusehenden Vogelkinder gern als lebendiges Spielzeug benutzen. Die Jungvögel erleiden dabei so große Angst, dass viele von ihnen sterben. Mitunter nehmen Kinder einen gefundenen, fast selbstständigen Jungvogel jedoch mit nach Hause. Um dies zu verhindern, hilft nur ausreichende Aufklärung durch Eltern oder Bekannte.

Junge Zilpzalpe (Ästlinge) werden von einem Altvogel gefüttert, © Thomas Erichsen
Junge Zilpzalpe (Ästlinge) werden von einem Altvogel gefüttert, © Thomas Erichsen

Doch nicht nur Kindern, denen man ihre Unwissenheit wohl nicht zum Vorwurf machen kann, nehmen leider Jungvögel während der Bettelflugperiode mit. Sehr häufig verhalten sich Erwachsene ebenso, wenn sie vermeintlich verwaiste Jungtiere während eines Spaziergangs finden. Sie nehmen sie in der falschen Annahme mit nach Hause, dass die Tiere von ihren Eltern verlassen worden seien. In Wahrheit aber kümmern sich Vogeleltern aufopferungsvoll um ihren Nachwuchs, sie lassen ihn mit Sicherheit nicht grundlos im Stich.