Handaufzucht von fünf Blaumeisen (7)

Gastbeitrag von Monika Sattler, Herbst 2008

Bitte beachten Sie: Dieser Gastbeitrag ist keine Anleitung zur Aufzucht, Ernährung und Unterbringung von Wildvögeln. Lesen Sie zu diesen Themen bitte unsere entsprechenden Kapitel unseres Internetprojekts, siehe Navigationsleiste oben auf der Seite.

Ende Frühjahr/Anfang Sommer 2008

Die Balkontür war Tag und Nacht offen, jedoch ausreißsicher präpariert. Ich habe sie mit einem blauen licht- und luftdurchlässigen Polyestervorhang „verschlossen“. So konnten Licht und Luft ins Wohnzimmer gelangen, unsere Fliegerleins aber nicht raus. Ich habe den Vorhang mit Reißnägeln außen an dem hölzernen Türrahmen befestigt. Die Reißnägel wurden sehr dicht gesteckt und der Vorhang sehr straff gespannt, denn Versuche zum Ausbüchsen gab es immer wieder mal. Doch die Zeit, bis sie da raus durften, war noch lange nicht gekommen! Wir selbst und unsere Hündin Ronja konnten nach wie vor über unser Schlafzimmer auf den Balkon.

Ab 21 Uhr war Bettgehzeit und wir pflückten unsere Blaumeisenbabys von den Ästen, die ich zwischenzeitlich auch im Wohnzimmer verteilt hatte. Um 21 Uhr wurden, bis auf die Amseln, auch alle anderen Vögel draußen immer ruhig und so hatten die Kidis nicht das Gefühl, etwas zu verpassen, als wir sie eigentlich mit den anderen, frei lebenden Vögeln ins „Bett“ steckten.

Da die Meisenbabys ja nur unser Wohnzimmer kannten, musste ich ihnen ihre zukünftige Heimat zeigen. Dazu stellte ich die geschlossene Voliere immer wieder mal auf den Balkon. Sie konnten die anderen Vögel hören, haben schnell die Krähen als Feinde ausgemacht und pfiffen, als sie sie sahen, sehr laute und grelle Warnrufe aus!

Das Meisenhäuschen hatte ich immer noch, oder besser gesagt wieder auf dem Balkon gestellt. Eines Tages kamen tatsächlich auch die Eltern zurück. Ich erkannte sie an dem arg zerzausen, etwas blassfarbigen Weibchen. Das Männchen war ein stattlicher und farbintensiver Vogel! Sie haben ihre Babys gehört und setzten sich auf die Voliere! Ich traute mich kaum zu atmen, denn die Voliere stand genau vor meinem Fenster, das ich natürlich offen hatte, um meine Kleinen hören und sehen zu können.

Die Eltern versuchten in die Voliere zu gelangen und kletterten um den ganzen Käfig herum. Ich hoffte so sehr, sie würden sich ihrer Kinder nun doch noch annehmen. Aber es sah nicht danach aus! Ein paar der Jungen hatten sie bemerkt und aus Leibeskräften gerufen, doch die Eltern gaben nicht einen Ton von sich! Für mich sah das eher bedrohlich als familiär aus. Hätten die Eltern sich ebenso enthusiastisch verhalten wie zwei der Jungmeisen, hätte ich den Käfig geöffnet und die Familie zusammen gelassen. Doch es sah eher danach aus, als ob sie ihr Revier gegen andere Blaumeisen verteidigen wollten. Ich schätzte, sie hätten sie verjagt, um das Meisenhaus und das Futterrevier wieder alleine für sich zu haben. Sie konnten nicht verstehen, dass die Blaumeisen nicht aus dem Käfig kamen und sie da nicht rein konnten.

Ich entscheid mich, die Voliere geschlossen zu halten und nur immer kurze Zeit auf dem Balkon zu belassen, damit sich die Eltern nicht gestört fühlten, denn ich sah, wie sie wieder Nistmaterial in das Meisenhaus brachten. An vielen Stellen im Internet ist zu lesen, dass Meisen im Jahr nur eine Brut groß ziehen, doch auf meinem Balkon habe ich dies nicht zum ersten Mal bemerkt, dass Meisen ein zweites Gelege hatten. Irgendwie war den Meiseneltern die Voliere mit den fünf Jungmeisen zu suspekt und sie haben ihren Gedanken an ihre zweite Brut – bei dieser Überzahl an Futterkonkurrenz – verworfen.

Jeden Abend um 21 Uhr war Feierabend. Wir „pflückten“ unsere Babys von ihren Ästen und setzten sie in die Voliere zum schlafen. Diese wurde abgedeckt und ins Schafzimmer gebracht. Blaumeisen (und wahrscheinlich andere Vögel auch) reagieren auf Licht und Geräusche. Sobald sie im Schafzimmer waren, war Ruhe im Käfig. Die letzten Tage durften sie nachts im Wohnzimmer auf ihren Ästen bleiben, sie haben ihre Köpfchen unter die Flügel gesteckt, das Gefiederchen aufgeplustert und bis sechs Uhr morgens geschlafen. Ich wollte, dass sie sich auch an die nächtlichen Temperaturen gewöhnen, bevor ich sie freilasse.

Zwischenzeitlich waren sie sehr zutraulich, doch das durfte ja nicht sein! Eine Vogelexpertin erzählte mir, dass sich das gibt und wenn sie scheu werden, ist das der richtige Zeitpunkt, sie in die Freiheit zu entlassen. Sie sagte auch: „Ich finde, es ist schwieriger, den richtigen Zeitpunkt zu finden, wann man sie in die Freiheit entlässt, als sie groß zu ziehen.“ Ja, das kann ich heute, nachdem ich weiß, wie man so kleine Geschöpfe groß bringt, nur unterstreichen! Meine Angst, sie zu früh fliegen zu lassen, war enorm! So viele Gefahren lauern da draußen auf meine kleinen Babys und ich würde sie am liebsten vor all diesen Gefahren ihr Leben lang beschützen. Doch ich muss der Natur ihren Lauf lassen, den Tieren ihre Freiheit geben. Sie wurden mir nicht geschenkt, sie wurden mir zur Aufzucht geliehen.

Es war eine stressige, aber vor allem auch eine wunderbare Zeit, die mein Leben sehr bereicherte! Sie sind stark und inzwischen blitzschnell. So schnell wird ihnen nichts passieren und vielleicht ist eines dieser Kleinen nächstes Jahr ein Elternteil in meinem Meisenkasten auf dem Balkon!

Am Sonntag, den 8.06.08 machte ich die Balkontüre gegen zehn Uhr vormittags auf und wartete gut eine Stunde, bis alle draußen waren. Zuvor gab es noch einmal reichlich Futter, sie sollten ja nicht hungrig auf die Reise gehen. Ich überließ es ihnen selbst, wann für sie der Zeitpunkt des Abschiednehmens gekommen war. Der Chef der kleinen Bande flog als erster und rief seine Geschwisterchen… und alle folgten ihm.

Ich hoffte so sehr, dass meine kleine lieb gewonnene Rasselbande mich besuchen kommen würde. Und sie taten es! Bis vor zwei bis drei Wochen kamen immer noch welche und holten sich ihre eingeweichten Beoperlen und ihre Fliegenmaden, die ich aus dem Anglergeschäft hatte und die ich ihnen dann, als sie in Freiheit waren, angeboten habe.

Ein Snack für die ausgewilderte junge Blaumeise, © Monika Sattler
Ein Snack für die ausgewilderte junge Blaumeise, © Monika Sattler

An meinem Küchenfenster konnte ich die jungen Meisen fotografieren, nachdem ich sie freigelassen habe! Ich stellte ihnen ihren Lieblingsblumenstock als Anflugplattform ins Fenster und meine Fliegerleins kamen alle fünf zu ihrer Ziehmama zurück, um sich verwöhnen zu lassen. Sie kamen, ließen sich von mir mit lebenden Fliegenmaden aus dem Anglergeschäft füttern und sich bei ihrer Arbeit, die Maden erst zu töten und dann zu verschlingen, nicht durch meine Anwesenheit aus der Ruhe bringen. Nur fotografieren durfte ich sie nicht mehr so viel, davon hatten sie endgültig den Schnabel voll…

Unsere kleine Rasselbande lebte vom 09.05.08 bis 08.06.08 bei uns und ich möchte die Zeit und die Freude mit ihnen nicht missen! Ich bin dankbar dafür, dass ich sie aufziehen durfte. Es war wie ein kleines Geschenk zum … Muttertag 🙂

Jugendliche Blaumeise am Küchenfenster, © Monika Sattler
Jugendliche Blaumeise am Küchenfenster, © Monika Sattler

Ich hoffe, Euch gefällt mein kleiner Bericht und Ihr könnt ein bisschen nachempfinden, was ich für „meine“ Geierleins empfinde. Noch immer schaue ich nach ihnen und höre sie auch. Ich hoffe im Winter einige meiner Babys an der Futterstelle wieder zu sehen…

Nun, wir haben es zu dritt gemeistert, alleine wäre es wegen des Zeitaufwandes nicht möglich gewesen. Es musste ja von morgens um sechs Uhr bis abends um 21 Uhr jemand für sie da sein. Ich habe sogar mal meine Tochter gebeteten, aus München zu kommen, da mein Mann und ich beide den ganzen Tag in der Arbeit waren. Und da meine Kleine ein ebenso großes Herz für Tiere hat, hat sie sofort zugesagt.

Zusammen auf die Blaumeisen gekommen: Meine Tochter bei der Fütterung und mein Mann mit dem besonderen Gespür für Tiere und ich. © Monika Sattler
Zusammen auf die Blaumeisen gekommen: Meine Tochter bei der Fütterung und mein Mann mit dem besonderen Gespür für Tiere und ich. © Monika Sattler

Last but not least:
Die kleinen Blaumeisen – sie haben gekämpft, sie WOLLTEN leben!

Die kleinen Blaumeisen haben tapfer um ihr Leben gekämpft und es zum Glück fast alle geschafft, © Monika Sattler

Und hier noch interessante Adressen und Webseiten:

Wildvogelhilfe.org
DIE Seite, wo man so ziemlich alle Infos zur Aufzucht der Wildvögel findet, auch mit Telefonnummern für die direkte Hilfe! Danke für diese fantastische Seite! (Ihr seid ja zum Glück schon hier, denn ich durfte auf der Seite diesen Erfahrungsbericht veröffentlichen 🙂 ).

Futter-Spatz
Hier bei Frau Zechel-Malonn habe ich die Pinkies und Heimchen bekommen! Sie ist sehr hilfsbereit und hat die Ware noch am gleichen Tag gefroren rausgeschickt

Hasselfeldt Nisthilfen und Artenschutzprodukte
Hier habe ich meinen Meisenkasten gekauft!

Bitte denkt immer daran, dass Eltern ihre Jungvögel nur im ALLERSELTESTEN FALL verlassen!

Wenn die Jungen flügge werden, sind sie oft hüpfend auf dem Boden, weil sie das Fliegen erst lernen müssen. Sie werden dort von ihren Eltern weiter gefüttert und animiert, ihnen zu folgen! Wenn wir diese Vögel nun mitnehmen, weil wir glauben, sie seien verlassen, begehen wir einen irreparablen Fehler! Die Eltern suchen nach ihnen und wir können ihnen NIEMALS das geben und sie lehren, was die Jungvögel von ihren Eltern lernen! Diese hier beschriebene Aufzucht ist eine absolute Ausnahme! Ich habe in all den Jahren, in denen nun Vögel auf meinem Balkon brüten, nicht eingreifen müssen und bin mir sicher, das wird auch nicht mehr in diesem Ausmaß notwendig sein.

Sollte Ihnen Ihr Kind einmal einen Vogel bringen, der bereits Federn hat, aber noch nicht fliegen kann, lassen Sie sich die Stelle zeigen, an der Ihr Kind das Tier gefunden hat und setzen Sie es wieder aus! Beobachten Sie unbedingt den Fundort und verscheuchen Sie eventuelle Räuber wie Katzen oder Raubvögel.

Die Eltern suchen stundenlang nach ihren Jungen! Ich habe sogar schon erlebt, dass eine Mutter ihr Junges auch nach über einem Tag noch nicht aufgegeben hatte und es dann weiter gefüttert hat! Es ist ein absoluter Irrglaube, dass Vögel ihre Jungen nicht mehr annehmen würden, wenn sie von uns Menschen angefasst wurden! Aufgepäppelte Tiere müssen unbedingt an ihrem Fundort ausgesetzt werden, da Vögel einen Dialekt haben, der wenige Kilometer weiter nicht mehr von Artgenossen erkannt wird. Das Vögelchen findet so keinen Partner und müsste dann alleine leben! Bitte denken Sie immer daran!

Eine der von uns großgezogenen jungen Blaumeisen, © Monika Sattler
Eine der von uns großgezogenen jungen Blaumeisen, © Monika Sattler

Sämtliche Bilder und Texte dieses Gastbeitrags sind Eigentum der Autorin. Gegen eine private Nutzung und das private Speichern der Datei habe ich, Monika Sattler, keine Einwände. Auch das Wildvogelhilfe-Team ist damit einverstanden.
Augsburg, den 14.09.2008