Amseln in unserem Garten

Gastbeitrag von Hilu Lalic, Juli 2003

Bitte beachten Sie: Dieser Gastbeitrag ist keine Anleitung zur Aufzucht, Ernährung und Unterbringung von Wildvögeln. Lesen Sie zu diesen Themen bitte unsere entsprechenden Kapitel unseres Internetprojekts, siehe Navigationsleiste oben auf der Seite.
Amsel beim Fressen, © Hilu Lalic
Amsel beim Fressen, © Hilu Lalic

Unser Garten ist mit viel Mühe und Liebe planmäßig verwildert, obwohl, oder gerade weil wir eigentlich fast mitten in der Stadt leben (siehe zu diesem Thema auch die Rubrik „Vogelfreundlicher Garten„). Dies garantiert uns, dass viele Tiere sich hier wohlfühlen und die kleine grüne Oase als ihren Lebensmittelpunkt wählen. Auch kommen häufiger Wanderer des Weges, wie letztes Jahr ein ausgewachsener Uhu, der hier sein Weihnachtsessen in Form von Mäusen suchte. Aber auch Igel, Fasane, Bussarde und Krähen haben manchmal ein Gastspiel.

Grundsätzlich geben wir der natürlichen „Unordnung“ immer den Vorzug und vermeiden jede Art von geometrischer Aufteilung. Wir lassen das Laub der Pappeln ganzjährig liegen und kehren nur die Wege. Dies beschert uns einen immer feuchten, lockeren Boden mit hunderten von Regenwürmern, die die Erde für uns ständig durchsieben, und den Vögeln garantiert es viel Nahrung.

Grünabfälle werden auf einem Komposthaufen gesammelt, der nur aus Blättern und Pflanzenteilen besteht, also keine Küchenabfälle, um Mäuse und Ratten nicht zu locken. Dieser Erdhügel ist das Eldorado unserer gefiederten Mitbewohner. Sie fühlen sich magisch angezogen, weil sie hier immer genüsslich und ungestört schlemmen können. Vogeleltern kommen mit ihren Jungen regelmäßig hierher, um den Kleinen das Blätterwenden und Aufspießen von Würmern, Schnecken und Asseln beizubringen.

Neben zwei Teichen haben wir an mehreren Stellen kleine Schüsseln mit Wasser aufgestellt, die vor allem von Amseln und anderen Drosseln zum Trinken und zum Baden genutzt werden. Neben hohem Efeu bieten dichte Hecken und Stauden unseren Stammgästen Schutz, Schlafgelegenheit und sicheren Platz für den Nestbau. Der Chef der ansässigen Amselgang ist Elvis. Er wohnt nun schon seit drei Jahren in unserem Garten, ist hier geboren und hat mit verschiedenen Weibchen Jungen gezeugt und großgezogen. Die Jungen verlassen uns nach einigen Wochen und suchen sich meist tagsüber ein eigenes Revier, kommen aber abends zum schlafen zurück. Nun, Mitte August 2002, finden sich zwischen 21:00 und 21:30 um die zwanzig Vögel ein, die laut schnatternd um die besten Plätze kämpfen. Kleinere Keilereien sind keine Seltenheit, begleitet von lautem Gezeter und viel Theater.

Die Aufzucht der Jungen ist für Elvis und seine Frau Elvira ein hartes Geschäft. Vielleicht geben sie sich deswegen mit dem Nestbau nicht so viel Mühe und nutzen fast immer eins der bereits vorhandenen. In den nächsten Tagen werden die Eier hauptsächlich vom Weibchen bebrütet, während Elvis sie mit Nahrung versorgt. Er gönnt ihr nur manchmal eine Pause und setzt sich dann allenfalls für eine halbe Stunde aufs Gelege.

Unsere Amseln werden zur Brutzeit immer sehr leise, meist hört man sie gar nicht. Sind die Jungen einmal geschlüpft verstärkt sich ihre Geheimniskrämerei noch mehr. Nie sieht man sie auf direktem Wege zum Nest fliegen, immer nehmen sie einen Umweg, um den Ort ihres Nestes nicht zu verraten. Auch wird der gesamte Garten zur Nahrungssuche gemieden, obwohl doch der Komposthaufen verlockende Regenwürmer beherbergt. Selbst die Wasserstellen werden nicht mehr angeflogen.

Steinhaufen im Garten, © Hilu Lalic
Steinhaufen im Garten, © Hilu Lalic

Elvis, den man wegen seiner einzigartigen weißen Augenbrauenfedern leicht erkennen kann, sehen wir in sicherer Entfernung vom Haus emsig Würmer und anderes Getier auf Wiesen und Feldern sammeln. Auf die typischen aufgeregten Warnrufe, wenn zum Beispiel ein Häher in der Nähe ist, wird ebenfalls möglichst ganz verzichtet. Sind die Jungen allerdings einmal geschlüpft, nutzt auch das leise Verhalten der Eltern nichts mehr. Mit einer für ihre Größe beachtlichen Stimme geben sie ihrem unersättlichen Hunger Nachdruck und somit ihren Standort bekannt, sobald einer von den Alten sich dem Neste nähert. Die kritische Zeit beginnt, in der die Brut besonders gefährdet ist. Bei uns sind es in den letzten Jahren meist zwei bis drei schreiende Wollknäuel und das zwei Mal im Jahr zwischen Ende April bis Anfang August.

Die Amseleltern leisten in den nächsten 10 – 14 Tagen Schwerstarbeit. Unermüdlich und bis an den Rand der Erschöpfung tragen sie nun Regenwürmer und Insekten, aber auch Beeren herbei. Beachtlich ist dabei die Größe der Beute. Man kann gar nicht glauben, dass die Kleinen die meist riesigen Brocken überhaupt runterkriegen. Weiterhin benutzen sie die Umwege, um Eichelhäher oder Katzen zu täuschen, jedoch kann man nun wieder häufiger ihre aufgeregten Warnschreie hören. Und mutig sind unsere Amseln auch. Letztes Jahr konnten wir eine ungewöhnliche Szene beobachten. Wir hatten junge Meisen im Garten und ein Eichelhäher hatte eins der Küken gepackt. Die Meiseneltern verteidigten ihre Kinder mit tollkühnen Flugparaden. Und plötzlich beteiligten sich auch Elvis und Elvira erfolgreich an der Attacke gegen den Häher, obwohl sie eigentlich gar nicht angegriffen wurden. Überhaupt besteht gerade zwischen Amsel und Meise in unserem Garten oft eine innige Freundschaft.

Nach circa zwei Wochen tönen dann die fordernden Schreie aus allen Büschen: die Kleinen haben das Nest verlassen und halten sich nun in den nächsten Tagen vornehmlich auf dem Boden auf, wo sie von den Eltern ständig neu akustisch geortet werden müssen. Die haben nun noch mehr Arbeit, weil die Zwerge nicht zusammen bleiben und schon in dieser dritten Woche bald kleine artistische Flugeinlagen geben. Noch etwas tölpelhaft gelingen ihnen anfangs Sprünge über ein bis zwei Meter und nicht selten „klettern“ sie auch am Efeu in beachtliche Höhen. Täglich perfektionieren sie ihre Künste. Nur die Feinmotorik klappt noch nicht so gut, da der Schwanz erst um die ein bis anderthalb Zentimeter lang ist. für uns ist das immer eine kritische Zeit, wegen der Gartenteiche, die dann abgedeckt werden müssen. Amselkinder können leicht ertrinken, weil sie die Gefahr nicht erkennen oder auch schon mal aufgeschreckt aus Angst auf der Wasseroberfläche landen wollen.

In der vierten Woche fragt man sich als Beobachter, ob die Ästlinge ewig gefüttert werden müssen. Sie sehen doch schon so groß aus und lassen sich immer noch mit heftigem Flügelschlagen und lautem Geschrei stopfen. Und tatsächlich erwischt man sie nun immer häufiger beim Picken und Blätterwenden, auch wenn nicht viel dabei herumkommt. Sie sind inzwischen auch wendiger, da ihr Schwanz fast ein Drittel der Endgröße erreicht hat und täglich sichtbar wächst. Sie halten sich jetzt häufiger in Bäumen auf und lassen sich hier füttern. Flugstrecken von bis zu zwanzig Metern sind kein Problem mehr und sie werden zunehmend erwachsen und menschenscheuer.

In der fünften Woche fliegen sie bereits mit den Eltern zu den Wiesen und schauen sich genau an, was ihre Erzeuger dort machen. Hier lernen sie das schnelle Klopfen auf den Boden, das die Regenwürmer aus ihren Gängen lockt. Auch wissen sie nun ihren Schwanz aufgeregt empor zu strecken und gleichzeitig mit den Flügeln zu schlagen.

Bewachsene Mauer im Garten, © Hilu Lalic
Bewachsene Mauer im Garten, © Hilu Lalic

Langsam, aber sicher, bemerkt der aufmerksame Beobachter wieder eine Veränderung, und zwar sowohl bei den Alttieren als auch bei den Jungen. Die Eltern werden zusehends unvorsichtiger und sind häufiger im Revier zu sehen. Sie nehmen auch gerne wieder ein Bad und trällern ab und zu vergnügt. Die tollpatschigen Kleinen haben sich zu erwachsenen Vögeln gemausert, die nun kaum noch von den Großen zu unterscheiden sind. Ihre Flüge wirken sicher und sie strahlen durch ihr teilweise schon freches Verhalten ein gewisses „Selbstbewusstsein“ aus, auch wenn sie sich immer noch gerne füttern lassen. Meist fliegt nun die gesamte Familie geschlossen zur Futtersuche.

Auch die Stimme hat sich verändert. Während anfänglich das Tschilp sehr laut und eindringlich war, dann jedoch mit der Fähigkeit selber zu picken wieder leiser wurde, hört man nun schon zarte Ansätze melodiöser Tonfolgen. In den nächsten Tagen werden sie immer häufiger ihren eigenen Weg suchen, da sie nun fertige Wildvögel sind. Im Herbst dieses Jahres werden sie dann nach der Mauser uns Menschen ihr Geschlecht preisgeben und im nächsten Frühjahr für Nachwuchs sorgen.

Weiter geht es mit dem Kapitel Matjes – eine Erfolgsstory (1).