Kolkraben im Almtal

Gastbeitrag von Dr. Gertrude Drack, Mai 2005 (mit Bildmaterial anderer Fotografen)

Kolkrabe (Covus corax), © hjorleifur / Pixabay
Kolkrabe (Covus corax), © hjorleifur / Pixabay

Die österreichische Rabenvogelexpertin Dr. Gertrude Drack hat für die Website Wildvogelhilfe.org einen  umfangreichen und informativen Beitrag über Kolkraben verfasst. Lernen Sie im Folgenden die faszinierenden Kolkraben kennen, die in Österreich unter anderem im Almtal beheimatet sind. Per Mausklick auf die Listeneinträge können Sie auch direkt zu den jeweiligen Abschnitten springen.


Kolkraben zoologisch gesehen

Kolkrabe (Corvus corax), © J. N. Stuart via Flickr
Kolkrabe (Corvus corax), © J. N. Stuart via Flickr

Die Familie der Rabenvögel (Corvidae) zählt wegen ihrer übereinstimmenden Anatomie der Luftröhre zu den Singvögeln, Ordnung Sperlingsvögel (Passeres). Hierher gehört aus unserer heimischen Fauna der Kolkrabe (Corvus corax), jener echte und ureigentliche Rabe, von dem schon ein Pärchen dem alten Kriegsgott Wotan diente. Seine nächsten Verwandten sind die Krähen (Raben-, Saat- und Nebelkrähe). In Mitteleuropa kommen darüber hinaus ganzjährig Dohlen (Berg- oder Alpendohlen), Elstern, Eichel- und Tannenhäher sowie die rotschnäbelige Alpenkrähe als Brutvögel vor, letztere Art nur mehr spärlich in den Westalpen.

Rabenvögel sind weltweit in vielen Arten und Unterarten vertreten und bewohnen alle Breiten- und Höhengürtel der Erde, meist als Standvögel (Rahmann & Rahmann, 1988). Im oberösterreichischen Almtal wird der sogenannte „Aasrabe“ in einer botanisch-zoologischen Beschreibung von Simon Witsch (1821), zit. nach Trathnigg (1956), im Gebiet der „Scharnsteiner Auen“ als Jahresvogel erwähnt. Auf das frühere Vorkommen im Almtal lassen Berg-, Flur- und Hausnamen schließen (Rabenstein, Rabenau, Rabenbrunn) und es ist nicht verwunderlich, dass ein Vogel, der in so vielen Ortsnamen präsent ist, auch im wüsten Feld des Aberglaubens nistet. Durch sein prächtiges schwarzes Gefieder und seinen durchdringenden Ruf hat der Kolk schon immer tief beeindruckt.


Götter- oder Galgenvögel?

Kolkrabe (Corvus corax), © kodachrome65 via Flickr
Kolkrabe (Corvus corax), © kodachrome65 via Flickr

Erst mit der Christianisierung gerieten die heiligen Vögel als ehemalige Götterboten zunehmend in Verruf – sie symbolisierten die Ungläubigen und Abtrünnigen (Havelka & Hepp, 1990). In Bilderbüchern und Märchen wird der Rabe gerne mit Hexen und Zauberern in Verbindung gebracht. So stellte auch William Shakespeare den Raben – der Tradition seiner Zeit gehorchend – als Synonym des Bösen und der Zerstörung dar. Unseren sprichwörtlichen Ausdrücken „Unglücksrabe“, „Rabenmutter“ oder „Rabenvater“ haftet noch immer jene negative Komponente an, welche diese Vögel seinerzeit in Verruf gebracht hatte. Raben wurden als grausame Eltern angesehen, die sich nicht um ihre Jungen kümmern, was eine schlimme Verleumdung ist.


Kolkraben – die Problemvögel

Ein Kolkrabe hat einen Jungvogel einer anderen Vogelart erbeutet, © Vitalii Khustochka via Flickr
Ein Kolkrabe hat einen Jungvogel einer anderen Vogelart erbeutet, © Vitalii Khustochka via Flickr

So wie der Mensch des Mittelalters stets nach Verursachern des Bösen suchte, neigt auch noch mancher Jäger unserer Tage zum Frust-Schuss auf Rabenvögel. Die Legende von den Lämmer mordenden Kolkraben und Aaskrähen ist vermutlich nicht auszurotten. Sie kommt immer dann wieder mit neuem Schwung in Umlauf, wenn sich Rabenvögel über tot geborene Kälber hermachen, wie das seit Menschengedenken der Fall ist. Dass Rabenvögel sich von außergewöhnlich großen Konzentrationen von Wild und Weidevieh angezogen fühlen, wird dem Beobachter im Wildpark klar, wo sich der Rabe eine neue ökologische Nische erobert hat.

Zur „Psychose der Kolkrabenbekämpfung“ haben sicherlich die gebietsweise auftretenden großen Schwärme von Jungvögeln beigetragen (Schmidt, 1957). Illegale Verfolgungsaktionen durch Aushorsten der Nestlinge, Fällen der Horstbäume, Aufstellen von Fangeisen oder Auslegen von Giftködern führte nachweislich zu Verlusten. Abschusslisten und Meldungen aus der Jägerschaft bezeugen vielerorts die schrittweise Ausrottung, obwohl es unbestreitbar eine neue Jagdethik gibt, die sich gegenüber der Natur verantwortlich fühlt. Als Aasverwerter üben Kolkraben im Naturhaushalt wie im natürlichen Ausleseprozess eine wichtige Funktion aus. Die Schließung von vielen Mülldeponien führte dazu, dass die Vögel sich neuen Nahrungsquellen zuwandten.


Nahrungsbiotop Almtal

Kolkrabe (Corvus corax), © Charlene Wood via Flickr
Kolkrabe (Corvus corax), © Charlene Wood via Flickr

Ein gutes Wahrnehmungsvermögen, wobei dem optischen und akustischen Sinn größte Bedeutung zukommen, ist für den Raben Voraussetzung, Beute machen zu können. Weite Teile unseres Gebietes weisen noch einen nahezu ursprünglichen Landschaftscharakter auf, und das Almtal stellt mit seinen großen Jagdgebieten und seiner relativ hohen Wilddichte ein ausgezeichnetes Nahrungsangebot für Kolkraben zur Verfügung. Das sogenannte „Fallwild“, das mit dem Abschmelzen der Lawinenkegel im Frühjahr zutage tritt, bildet eine wichtige Nahrungsbasis für die Aufzucht der Jungen. Dank ihres hervorragenden Gesichtssinnes können Raben erlegtes Wild, Kadaver oder Eingeweide (Aufbruch) aus großer Höhe orten. Sie sind alsbald zur Stelle, wenn ein Schuss abgegeben und das Wild zur Strecke gebracht wirdund es kommt vor, dass Kolkraben sich an die Beute heranmachen, bevor sie der Jäger wegbringen kann.

Saisonal bedingte Muster in der Häufigkeit des Nahrungsangebotes sind durch die Abfälle bei den Schutzhütten und Berggasthöfen gegeben. Weiters werden Camping- und Wintersportplätze aufgesucht und Abfallkübel durchstöbert. Das Vorland kommt mit seinen Natur- und Kulturflächen dem Kolkraben als Aas- und Allesfresser sehr entgegen. Verkehrstote Tiere ergänzen hauptsächlich in den Sommermonaten das vielseitige Nahrungsaufkommen. Totgeburten auf Weiden, in den Gehegen und in der freien Wildbahn oder aufgefundene Schlachtabfälle werden hygienisch und kostenlos von der „Gesundheitspolizei“ entsorgt. Mäuse, Ratten, Insekten, Würmer und Schnecken bilden eine unverzichtbare Kost zur Jungenaufzucht. Obst und Beeren, Nüsse, Getreide und Wildfutter bieten Abwechslung. Die unverdaulichen Reste (Schalen, Knochen, Haare, etc.) werden als Speiballen durch den Schnabel nach außen befördert.

Das Verstecken von Nahrungsstücken wird früh geübt und spielt im Verhaltensrepertoire der Kolkraben eine wichtige Rolle. Die Vögel benutzen dazu Spalten, Erdlöcher und hohle Baumstümpfe und graben Beutestücke im Schnee und auch im festgefrorenen Boden ein. Mit dem Schnabel werden Gras- und Moosbüschel ausgerissen und Löcher ausgehoben. Sie stecken die Objekte in die entstandenen Bodenvertiefungen bzw. vorhandenen Risse oder Spalten und decken sie mit Erde, Laub, Rinde, etc. zu. Spielerisch wird trainiert, was später einmal von Nutzen sein kann. Dazu gehört auch „Bespitzeln“ und „Austricksen“. Die Versicherung der Vogelexperten, dass Raben- oder Krähenschnäbel zum Erbeuten größerer Tiere ungeeignet sind, nützt wenig. Es ist, als ob der alte schlechte Ruf von neuen Erkenntnissen unberührt bleibt (Lieckfeld & Straaß, 2002).


Revier und Brut

Kolkrabe (Corvus corax), © Tony Hisgett via Flickr
Kolkrabe (Corvus corax), © Tony Hisgett via Flickr

Der Kolkrabe ist der Größenrekordhalter unter den Singvögeln mit einer Flügelspannweite von über einem Meter und einem Gewicht bis zu eineinhalb Kilogramm. Der fast bussardgroße schwergewichtige Wotansvogel ist bei uns durchwegs Gebirgsvogel und benötigt ein großes Revier, das von einem Paar besetzt gehalten und verteidigt wird. Erst in den letzten Jahren breiten sich die Territorien weiter ins Vorland hinaus aus, wo Raben auf Bäumen brüten. Die Besiedlung neuer Gebiete geht von territorial werdenden Jungvögeln aus, die den Junggesellenverband verlassen und nach einer geeigneten Brutstätte Ausschau halten, die sie dann unter Einsatz aller Kräfte für sich in Anspruch nehmen. Auf der Suche nach neuen Revieren streifen Kolkraben oft weit umher und haben ganz unterschiedlich große Aktionsradien.

Zeitig im Frühjahr (oftmals schon im Winter) beginnen die Balzflüge unter Ausnutzung der Aufwinde zum Hochschrauben und Segeln. In kühnen Flugmanövern werden Purzelbäume hoch in der Luft ausgeführt (Salti vor- und rückwärts). Dabei ist der Keilschwanz gut zu sehen, der zum Steuern benutzt wird. Rabenpaare fallen durch ihre Flugspiele während der Balz besonders auf. In Scharnstein sind das Gebiet um die Ruine, die Bräumauer, den Mittagskogel – aber auch Meisenkögerl und Kornstein als Aussichtspunkte – beliebte Rendezvousplätze der heimischen Kolkraben. In der montanen und subalpinen Stufe ist die Art, dem Angebot geeigneter Felswände entsprechend, über alle Höhenstufen verteilt. Die meisten Brutnischen der Almtaler Kolkraben befinden sich in einer Höhenlage zwischen 700 und 1200 m. Wetterfeste Höhlen und Nischen bieten Schutz und sind durch ihre exponierte Lage bevorzugte Nistplätze.


Nestbau und Jungenaufzucht

Junge Kolkraben im Nest, © Per Verdonk via Flickr
Junge Kolkraben im Nest, © Per Verdonk via Flickr

Die Nester mit einem Durchmesser von ungefähr 50 cm werden aus Ästen und Zweigen meist unter Felsvorsprüngen angelegt. Der Unterbau besteht aus gröberen Stöckchen, die innere Schicht bildet mit zarten Reisern, Gräsern, Moos, Tierhaaren und Federn, die eingetragen werden, eine gute Isolierung. Bei der Rohbauherstellung trägt das Männchen die Hauptverantwortung. Dann tritt das Weibchen in Aktion und sorgt für eine warme Unterlage. Es legt in Abständen von ein bis zwei Tagen vier bis sechs türkisgrüne, grau- bis braungefleckte Eier und wird während der Brutzeit (etwa drei Wochen) vom Partner versorgt. Nur zum Trinken, Koten und Baden verlässt es kurzfristig das Nest.

Ein Großteil der Jungvögel schlüpft bei uns Ende März, sofern die Winterkälte nicht anhält und für Ausfälle sorgt. Die Jungen bleiben dann noch etwa vierzig Tage im Nest und werden auch nach dem Flüggewerden von beiden Eltern gefüttert. Während der Aufzuchtsphase schleppen die Alten im Schnabel und im stark dehnbaren Kehlsack Futter herbei, welches dann – in der Regel stark eingespeichelt – verabreicht wird. Die Erschütterung am Nestrand durch den ankommenden Altvogel löst das Sperren der Jungen aus. Die rote Schnabelinnenseite, das kontrastreiche Bild von Rachenfarbe und Schnabelwulst, regt zum Füttern an. Bei intensiver Sonnenbestrahlung tränken und benetzen die Eltern ihre Nestlinge. Alle Verunreinigungen entfernt der Altvogel aus der Nestmulde, er hudert die Jungen (=nimmt sie unter die Fittiche) und hilft ihnen so, die oftmals kalten Frühlingstage zu überstehen. Meist ist es das Weibchen, das die Kleinen unter ihren Flügeldecken wärmt.

Die Notwendigkeit von kooperativer Brutpflege durch die Eltern kann ein Grund für die Monogamie der Kolkraben sein. Vermutlich sind auch die großen hart umkämpften Nahrungsterritorien, die gegen die Konkurrenz verteidigt werden müssen, ohne einen starken Partner nicht zu halten. „Rabeneltern“ leben jedenfalls in Harmonie mit der Umwelt und halten ein Leben lang zueinander. Sie begegnen der Natur mit Erfindungsreichtum und zeigen uns, dass es möglich ist, über alle Schicksalsschläge hinweg zu seinem Partner zu stehen. Als soziale Geschöpfe mit einem ausgeprägten Familiensinn umsorgen sie ihren Nachwuchs mit Hingabe – von „Rabeneltern“ kann also nicht die Rede sein.


Rangordnung und Imponierverhalten

Kolkrabe (Covus corax), © davidz / Pixabay
Kolkrabe (Covus corax), © davidz / Pixabay

Wie die Kinder der MEnschen Ordnung und Tabus für ihre Erziehung brauchen, dient die Rangordnung der Rabenvögel einem stabilen Beziehungssystem, das nach der Methode des Erfahrens brauchbarer und bewährter Situationen funktioniert (König, 1971). Der Grundstein für eine spätere Rangordnung wird bei Kolkraben schon früh gelegt. Die Auseinandersetzungen der Halbwüchsigen sind meist mit enormem Geschrei verbunden. Drohlaute und Gesten dienen oft nur der Einschüchterung des Gegners und möglicherweise dazu, seine Drohungen zu übertönen. Derjenige in der Gruppe, der „Rang und Namen“ hat, ist in seiner Gesellschaft obenauf, und so ist es sinnvoll, sich nach oben hochzurangeln. Durch Rangordnungskämpfe kommen die kräftigsten – vielleicht auch die klügsten Tiere in der Schar – zu Spitzenpositionen und übernehmen die Führung (Cube, 1988).

Jungraben sind gesellig und bleiben zunächst als Geschwistergemeinschaft zusammen. Meist im Spätherbst schließen sie sich einem Jungvogelverband an, machen gemeinsame Streifzüge, fressen und nächtigen auch in der Gruppe. Das Baden und die anschließende Gefiederpflege wirken ansteckend. Auch das Sonnen- und Schneebad sind beliebt. Dabei bilden sich kleine Untergruppen und Spielbünde. „Eine gute Möglichkeit, die eigene Position der Umwelt bekannt zu geben, besteht für viele Tiere darin, sich gegenüber Artgenossen besonders auffällig zu verhalten“ (Hagen &Hagen, 1991). Kolkraben ziehen beim Imponieren blitzschnell die schneeweiße Nickhaut vor das Auge, in aggressiver Stimmung treten sogenannte „Federohren“ (aufgestellte Haarbüschel am Kopf) auf, die nach Lorenz (1939) eine Kriegserklärung bedeuten und die Angriffslust zeigen.

Imponierender Kolkrabe (Corvus corax), © David Bush via Flickr
Imponierender Kolkrabe (Corvus corax), © David Bush via Flickr

Das Abspreizen des Kopf- und Halsgefieders lässt den imponierenden Raben größer und damit für rivalisierende Artgenossen furchteinflößender erscheinen. (Vgl. Lantermann, 1990). Das Kleinmachen durch Niederducken oder das Einnehmen einer dem Jungvogel ähnlichen Bettelstellung erlaubt hingegen eine Annäherung. Macht sich der Rabe dünn, so gilt es als ein Zeichen höchster Erregung. Das eng anliegende Federkleid drückt Wut und Angst aus. So kann aus der Gefiederstellung Imponiergehabe, Angriffslust oder defensive Haltung abgeleitet werden. Der „Dickkopf“, die „Halskrause“ oder die „Pluderhose“ unterstreichen optisch recht eindrucksvoll den imponierenden – oft lautstark rufenden – Raben, der die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich lenkt.

Aggressive Verhaltensformen geben Aufschluss über die sozialen Beziehungen der Gruppenmitglieder zueinander. Der Artgenosse wird optisch und akustisch gewarnt, Abstand zu halten, weil sich ein Ranghoher gerade seinen Anteil holt. In freier Wildbahn sieht man, wie Raben sich mit Bussarden, Adlern oder Füchsen anlegen, im Wildpark ins Gehege der Wölfe oder Luchse eindringen und dabei Kopf und Kragen riskieren. Diese ausgeprägte Tendenz, mit der Gefahr zu spielen, mag das Ergebnis einer uralten Evolutionsgeschichte mit Karnivoren (Räubern) sein – und wie beim Menschen – zeigt sich diese natürliche Neigung vor allem in jungen Jahren (Heinrich, 2002).


Neugier und Spiel

Kolkraben beim Spielen, © lamazone via Flickr
Kolkraben beim Spielen, © lamazone via Flickr

Alle Rabenvögel sind neugierig – es ist ihr Markenzeichen. Man fragt sich, ob das die entscheidende Eigenschaft war, die ihre Verbreitung und Vielfalt bewirkte. Gewiss, Neugier kann gefährlich sein, aber sie ist auch adaptiv, vorausgesetzt sie wird durch ein gutes Urteilsvermögen abgefedert. Natürlich kann dieses ungebremste Erkundungsverhalten (vor allem bei handzahmen Tieren) auch zum Ärgernis für die betroffenen Menschen werden.

Durch Spiel und Neugier werden Nahrungsquellen ausfindig gemacht, selbst die Bekanntschaft mit Beutetieren und Räubern ist zunächst Spiel. So ist es nicht sehr verwunderlich, dass junge Rabenvögel sich oft auf ein gefährliches Abenteuer einlassen, um die Grenzen auszutesten.

Ich habe Raben beobachtet, die sich tollkühn gegenüber Bären, Wölfen oder Füchsen verhielten und wie sie ihnen ihre Ration schmälerten. Der zahme Rabe versuchte immer wieder, Katzen und Hunde zu belästigen, Gänse und Hühner am Schwanz zu ziehen oder mit Schulkindern anzubandeln. Die „Opfer“ bestärkten seine Experimentierfreudigkeit durch ihr Fluchtverhalten. Raben sind überdies dafür berüchtigt, nachtragend zu sein und es ist erwiesen, dass die Vögel Antipathien gegen bestimmte Personen und Tiere hegen können und diesen aggressiv begegnen.

Durch spielerisches Handeln wird der schöpferische Geist gefördert, ohne Spielen gibt es bei Mensch und Tier keine Kreativität (Estes, 1996). Im Spiel lassen sich verschiedene Möglichkeiten ausprobieren, auf die später im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann. Da Jungraben vieles lernen müssen, was offenbar nur unpräzise vorgeprägt ist, haben sie anscheinend nur ein sehr undeutliches Bild von dem, was ein gefährliches Objekt ist. Die Eltern warnen ihren Nachwuchs durch ihr Fluchtverhalten vor drohendem Unheil. Durch das Spiel mit Objekten erkennen die Vögel, welche Dinge fressbar sind. Das „Zerstörspiel“ ist in Rabenkreisen besonders beliebt und der junge Krächzer scheint nichts anderes im Sinn zu haben, als sämtliche greifbaren Utensilien zu zerlegen, zu zerhacken oder irgendwie auf den Kopf zu stellen, sofern das „Objekt seiner Begierde“ nicht fressbar ist. Das Werk ist vollbracht, wenn das Spielzeug in Trümmern liegt. Es darf kein Stein auf dem anderen bleiben. Dann erst verlässt der Vogel die Stätte der Verwüstung mit einer gewissen Befriedigung, wie es scheint.

Wilde Jungraben vertreiben sich die Zeit mit Jagd und Spiel aller Art. Mit zunehmender Tageserwärmung stillen sie ihren Bewegungsdrang beim Segeln und „Abfangen“. Im Jungendverband lernen sie Freund und Feind kennen. Jungvögel verblüffen mit Verhaltensweisen, wie wir sie bei Menschenkindern kennen. Im Winter spielen Raben ausgelassen im Neuschnee, rollen sich auf den Rücken (vgl. Kilham, 1989) und buddeln sich ein. Sie lassen sogar Schneebälle, die sie im Schnabel mittragen, auf Artgenossen fallen (Drack, 1994). Vielleicht hat es den Anschein, dass ich durch die starke Bindung an „meine Vögel“ ihnen menschliche Motive unterschieben möchte. Aber wer einmal zugeschaut hat, wie sie Loopings drehen, den Felgeaufschwung beherrschen, kopfunter an einem Bein hängen, an einer Leine baumeln oder den Schneehügel hinunterkugeln, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie Spaß am Spiel haben und dabei noch eine ganze Menge fürs Leben lernen.


Kolkraben-Literatur und Bücher über andere Rabenvögel

  • Cube, F. von (1988): Besiege deinen Nächsten wie dich selbst. 140 S. R. Piper, München.
  • Drack, G. (1994): Aktivitätsmuster und Spiel freilebender Kolkraben (Corvus corax) im Almtal (Oberösterreich). 180 S. Diss. Naturwiss. Fakultät Univ. Salzburg.
  • Estes, C.P. (1966): Die Wolfsfrau. 490 S. W. Heyne Verlag, München.
  • Gattiker, E. & L. (1989): Die Vögel im Volksglauben. Eine volkskundliche Sammlung aus verschiedenen europäischen Ländern von der Antike bis heute. 589 S. Aula-Verlag, Wiesbaden.
  • Hagen, W. & H. Hagen (1991): Was Tiere sich zu sagen haben. 351 S. Rasch & Röhrig Verlag, Hamburg.
  • Havelka, P. & K. Hepp (1990): Altes und Neues um den Kolkraben. Allgem. Forstzeitschr. 45 (6-7), S. 174 -176.
  • Heinrich, B. (1989): Die Seele der Raben. 409 S. Paul List Verlag, München.
  • Heinrich, B. (2002): Die Weisheit der Raben. 541 S. List-Verlag, München.
  • Kilham, L. (1989): The American crow and the common raven. 255 pp. Texas A & M University Press, college station.
  • König, O. (1971): Das Paradies vor unserer Tür. 447 S. 3. Aufl., Verlag F. Molden, Wien-München-Zürich.
  • Lantermann, W. (1990): Großpapageien. 155 S. Frankh-Kosmos Verlag, Stuttgart.
  • Lieckfield, C.-P. & V. Straaß (2002): Mythos Vogel. 223 S. BLV Verlagsgesellschaft, München.
  • Lorenz, K. (1939): Die Paarbildung beim Kolkraben. Zeitschrift f. Tierpsychol. 3, S. 278-292
  • Rahmann, H. & M., J. Hildenbrand & J. Storm (1988): Rabenvögel. 154 S. Ökologie und Naturschutz 2, Verlag J. Markgraf, Weikersheim.
  • Schmidt, G.A.J. (1957): Geselligkeit beim Kolkraben (Corvus corax), insbesondere in Schleswig-Holstein. Ornith. Mitt. 6, S. 121 – 126.
  • Trathnigg, G. (1956): Die Tier- und Pflanzenwelt der Scharnsteiner Auen um 1821. Jahrb. O.Ö. Musealverein Linz, 191, S. 345 – 364.