Ruderflug

Beitrag von Gaby Schulemann-Maier, Team Wildvogelhilfe

Stieglitz (Carduelis carduelis), © Hans Olofsson via Flickr
Stieglitz (Carduelis carduelis), © Hans Olofsson via Flickr

Die am weitesten verbreitete Form des Fliegens ist der sogenannte Ruderflug. Hierbei bewegen sich die Vögel aus eigener Muskelkraft fort, wobei manche Arten zwischendurch zum Schonen ihrer Kräfte immer wieder mehr oder minder kurze Segel- oder Gleitflugphasen einlegen und in den Ruderflug integrieren. Die meisten Vogelarten, die sich überwiegend im Ruderflug fortbewegen, haben relativ kurze Flügel, deren Federn einen leichten Bogen bilden, wenn sie aufgefächert sind. Typische Vertreter der Ruderflieger mit abgerundeten Flügeln sind Singvögel wie Stieglitze, Rotkehlchen, Amseln und Spezies aus anderen Vogelgruppen, darunter die Papageien und Sittiche. Aber auch Vögel, die eigentlich eher Segelflieger sind, sind für gewöhnlich dazu in der Lage, sich im Ruderflug fortzubewegen. Für sie ist diese Art des Fliegens aufgrund ihrer charakteristischen und an einen anderen Flugstil angepassten Flügelform jedoch ungleich anstrengender als für die klassischen Ruderflieger.

Beim Ruderflug werden die Flügel in einem charakteristischen Bewegungsablauf so geführt, dass sie sich wie Ruder durch die Luft bewegen. Anders als es viele Menschen allgemein hin annehmen, bewegen die Vögel ihre Flügel beim aktiven Fliegen also keineswegs einfach auf und ab, sondern in geschlossenen, sich wiederholenden Bewegungsabläufen, bei denen die Flügel immer auch ein wenig gedreht werden.

Tafelente (Aythya ferina) im Flug, © Stray_Pic / Pixabay
Tafelente (Aythya ferina) im Flug, © Stray_Pic / Pixabay

Zunächst drückt der Vogel beim sogenannten Abschlag mit gestreckten Flügeln die Luft nach hinten. Daraus resultiert ein Schub nach vorn und nach oben. An den Flügeln liegen die Federn eng aneinander, sodass sie eine geschlossene Fläche bilden, mit der sich der Vogel abdrückt. Beim Aufschlag beugt der Vogel seine Flügel leicht und dreht sie, sodass er mit ihren Vorderkanten die Luft durchschneidet. Um möglichst wenig Widerstand zu leisten, stehen die einzelnen Federn an den Flügeln so, dass die Luft nahezu ungehindert zwischen ihnen hindurchströmen kann. So verhindern Vögel, sich beim Heben ihrer Flügel um dieselbe Strecke zurück zu bewegen, die sie durch das Senken zuvor bereits zurückgelegt haben. Denn genau dies würde geschehen, wenn die Federn zu viel Angriffsfläche für kleinste Luftverwirbelungen bieten würden. In Worten lässt sich dieser komplexe Bewegungsablauf schwer beschreiben, weshalb es empfehlenswert ist, sich das Ganze in Zeitlupe anzuschauen. Die gleichförmige Ruderbewegung des Flugs einer Graugans lässt sich in einem Youtube-Video betrachten (Video © Birdsinslowmotion).

Nahezu alle Ruderflieger sind dazu in der Lage, senkrecht von ihrem Sitzplatz aus zu starten, was ihnen nur dank ihrer extrem leistungsfähigen Flugmuskulatur möglich ist. Anhand von Tauben zeigt ein Clip auf Youtube die komplizierten und kräftezehrenden Bewegungen des Starts zum Ruderflug aus dem Stand (Video © Javier Rullan Ruano).

Weiblicher Fasan (Phasianus colchicus), © Aurel via Flickr
Weiblicher Fasan (Phasianus colchicus), © Aurel via Flickr

Da der Ruderflug viel Energie kostet, die aus den körpereigenen Fettreserven bezogen und von den Flugmuskeln bereitgestellt werden muss, können sich nicht alle Vögel gleichermaßen lange auf diese Weise fliegend fortbewegen. Fasane (Phasianus colchicus) beispielsweise können nur über kurze Distanzen fliegen und einige Sekunden lang mit den Flügeln schlagen, danach gehen sie in den Gleitflug über. Der Grund für dieses begrenzte Flugvermögen hat mit einem Detail ihres Körperbaus zu tun, das bei den meisten anderen Vogelarten so nicht zu beobachten ist: Ihre Muskulatur kann nur geringe Mengen Glukose speichern, die als Treibstoff für den Ruderflug notwendig ist. Beim Fliegen wird die Glukose aus diesem Speicher bei den Fasanen innerhalb kürzester Zeit komplett aufgebraucht, danach können die Vögel vorerst nicht mehr aktiv mit den Flügeln schlagen. Ihre Flugmuskulatur benötigt nach einem solchen „Sprint-Ruderflug“ ein wenig Zeit, um die aufgebrauchten Glukosevorräte aufzufüllen, damit erneute Kurzstreckenflüge möglich sind. Das andere Extrem sind beispielsweise verschiedene Gänsearten, die ihre weiten Wanderungen vom Sommer- in die Winterquartiere und umgekehrt im Ruderflug meistern. Diese Vögel fliegen jedes Jahr zweimal hunderte oder tausende Kilometer mit reiner Muskelkraft.

Schleiereule (Tyto alba), © Richard Towell via Flickr
Schleiereule (Tyto alba), © Richard Towell via Flickr

Eine Besonderheit unter den Ruderfliegern stellen die Eulen dar. Ihr Gefieder ist stark ausgefranst und weich, was sie beim Jagen zu einem nahezu lautlosen Ruderflug befähigt. Denn wegen dieser speziellen Gefiederform verwirbelt die Luft beim Fliegen kaum und es sind eben diese Wirbel, die bei anderen Vögeln zu typischen Fluggeräuschen führen. Weil Eulen häufig nach Gehör jagen, ist dieser extrem leise Flug für sie überlebenswichtig. Sie übertönen das leise Rascheln ihrer Beute nicht durch eigene Fluggeräusche. Hinzu kommt, dass sie sich so auch nicht verraten und die Beute eine herannahende Eule nicht hören kann. Für Eulen ist der geräuschlose Flug somit in doppelter Hinsicht ideal.

Schwäne im Flug, © Stray_Pic / Pixabay
Schwäne im Flug, © Stray_Pic / Pixabay

Wie laut der Ruderflug im Extremfall sein kann, lässt sich bei Höckerschwänen (Cygnus olor) beobachten. ausgewachsene Individuen können bis zu 1,6 m lang sein und eine Flügelspannweite von bis zu 2,4 m aufweisen. Ausgewachsene Männchen bringen etwa 10,6 bis 13,5 kg auf die Waage, die erwachsenen Weibchen sind meist nur maximal 10,0 kg schwer, was ebenfalls nicht wenig ist. Mit ihren großen und breiten Schwingen schneiden diese stattlichen Wasservögel im Ruderflug durch die Luft und verursachen dadurch Verwirbelungen und Vibrationen, die sehr deutlich hörbar sind. Fliegen Höckerschwäne vorüber, lässt sich dieses singende, rhythmische Geräusch meist sogar noch aus einiger Entfernung deutlich wahrnehmen. Hier geht es zu einem entsprechenden Klangbeispiel der Flügelschläge von Höckerschwänen: Sound-Clip von Antonio Anta Brink. Bei anderen Schwänen sind die Geräusche der Flügel sehr viel leiser als beim Höckerschwan.

Erkunden Sie weitere Flugstile der Vögel im Übersichtskapitel Wunderwerk Vogelflug.